Hintergrundwissen "Fremdschämen & Schadenfreude"

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Warum sind Sendungen wie "das Dschungelcamp" so erfolgreich?

"Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!", auch bekannt als "das Dschungelcamp":  Warum sind derartige Sendungen so erfolgreich?

 

Natürlich gibt es Menschen, die sich angewidert abwenden und sagen: "Das ist mir zu primitiv bzw. unter meinem Niveau!" Trotzdem: Das RTL-Camp ist sehr erfolgreich. Aber warum? Weil Derartiges - trotz aller Kritik und Ablehnung - tatsächlich von sehr vielen Menschen gerne gesehen wird. Hier kann der Zuschauer aus sicherer Distanz beobachten, wie peinlich sich andere vor laufender Kamera verhalten. Dabei warten die Zuschauer geradewegs auf Missgeschicke und peinliche Äußerungen der Akteure - die Macher derartiger Serien natürlich auch, schließlich bringen sie die erwartete "Quote".

 

Schamgefühl & Schadenfreude

Wenn  Menschen Peinlichkeiten und Missgeschicke bei anderen wahrnehmen, löst das Schamgefühle aus. Aber nicht der Zuschauer selbst muss sich schämen - er darf sich "fremdschämen" und das ist gewiss sehr viel leichter. Dennoch entstehen peinliche und sogar recht unangenehme Gefühle. Genau die mögen Menschen aber, zumindest solange sie lediglich Zuschauer sind.

 

Fremdschämen hat nämlich etwas mit Schadenfreude zu tun - und tatsächlich gibt es viele Menschen, die sich im tiefsten Inneren darüber freuen, wenn andere Menschen Schaden nehmen, insbesondere jene Menschen, die sie selbst nicht mögen bzw. die sie unsympathisch finden. Dies ist zugleich auch ein Grund, warum die Macher derartiger Fremdschäm-Serien im Hinblick auf die Protagonisten auf ganz bestimmte Persönlichkeiten zurückgreifen. Sie sorgen damit für ausreichend Potential zum Fremdschämen.

Warum mögen so viele Menschen das Gefühl der Schadenfreude?

Zum Ersten hat dies etwas mit der erneut drastisch gestiegenden Dekadenz unserer eigenen Gesellschaft zu tun, die bestimmte - an die Gesellschaft angepasste - Persönlichkeiten, aber eben auch bestimmte Persönlichkeitsstörungen herausbildet - ein Sozialisationsprozess. Derartige Persönlichkeitsstörungen haben insbesondere in den letzten Jahren deutlich zugenommen, ebenso wie man bei vielen Menschen eine deutliche Steigerung des Selbstwertgefühls verzeichnen kann, welches mit entsprechender Selbstermächtigung einhergeht.

 
Wenn andere Menschen Schaden nehmen,
erhebt man sich in solchen Momenten selbst über eine Person und macht sich über sie lustig. Es entsteht ein Gefühl, das ähnlich wirkt wie der "Kick" oder "Thrill" von Angstgefühlen z.B. beim Bungee-Jumping oder beim Betrachten eines Horrorfilms. Was für einige (früher waren es die meisten) Menschen von Natur aus eher ein negatives Gefühl darstellt, ist für nicht wenige Menschen, deren Persönlichkeit sich im Prozess der gesellschaftlichen Sozialisation umentwickelt hat, ein eher angenehmes Gefühl, bei einigen sogar noch mehr: Man nennt es "Kick" oder "Thrill".

 

Für viele Menschen ist es dennoch immer noch rätselhaft, dass sich Unbeteiligte für die Entgleisungen anderer schämen können. Dennoch ist genau dies natürlich, ähnlich wie bei Stolz oder Eifersucht. Schamempfinden hat mit Normverstößen zu tun. Es stellt eine Art moralischer Messlatte dar, die bei Überschreitung Alarm schlägt. Dieser Alarm ist von Natur aus eine Anregung zur Flucht oder zum Angriff. Im Zuge gesellschaftlicher Veränderungsprozesse stellen sich jedoch auch Veränderungen der natürlichen Denkprozesse ein. Genau so wie einige es wider der Natur mögen, sich von einer hohen Klippe zu stürzen oder sich von einer Achterbahn in den Abgrund reißen zu lassen, empfinden andere Glücksgefühle, wenn sie sich schämen - oder bequemer noch - fremdschämen können. 

 

Scham funkt (feuert) ins Schmerzareal des Hirns
Bei neurowissenschaftlichen Untersuchungen, die mit Hilfe des MRT stattfanden, um die Wirkung bestimmter Gefühle auf bestimmte Hirnregionen sichtbar zu machen, konnte festgestellt werden, dass bei peinlichen Situationen genau die gleichen Hirnareale angesprochen werden wie in Situationen, in denen Menschen körperliche Schmerzen empfinden.

 

Bei körperlichem Schmerz und Schamgefühl werden die gleichen Bereiche unseres Gehirns aktiv. Die Schlussfolgerung daraus: Fremdschämen kann psychisch wehtun. Wer bei Schamgefühlen positive Gefühle entwickelt, hat folglich auch eine masochistische Ader - und insbesondere die masochistische Persönlichkeitsstörung - eine Unterart des Narzissmus - ist es, die in unserer Gesellschaft - zusammen mit anderen narzisstischen Störungen messbar stark zunimmt: Derart stark, dass manche "Funktionäre" mittlerweile hergehen und überlegen, ob sie Narzissmus als Störung nicht aus dem offiziellen Register der Persönlichkeitsstörungen herausstreichen sollen, weil Narzissmus mittlerweile zu einem Teil unserer Gesellschaft mutiert ist.

 

Das klingt zwar schrill und eigentlich unglaublich, entspricht jedoch der Realität. Zugleich zeigt sich, wie ernsthaft sich unsere Gesellschaft bereits verändert hat und stetig weiter verändert. Manche sprechen mittlerweile sogar vom sogenannten "Zeitalter der Zombies", wobei man das Wort Zombie jedoch nicht wörtlich, sondern eher im übertragenen Sinne sehen muss.

Eine Frage der eigenen Persönlichkeit
Wie stark Menschen beim Fremdschämen mit anderen mitleiden, ist eine Frage der eigenen Persönlichkeit. Während empathische Persönlichkeiten mit anderen mitempfinden und folglich mitleiden, empfinden Menschen mit einer geringer ausgeprägten Empathie nur sehr wenige bis gar keine Gefühle in dieser Hinsicht. Im Extremfall entsteht das Gefühl der Freude, das wir Schadenfreude nennen. Für die eigene Persönlichkeit ist das jedoch ebenso kein gutes Zeichen wie für das Denken und Handeln im christlichen Kontext.

 

Obgleich Schadenfreude in einer Verbindung mit Neid und Missgunst steht, muss beim Fremdschämen bzw. bei Schamgefühlen differenziert werden: Gefühle wie Scham und Peinlichkeit haben nämlich eine regulierende Funktion, aus denen wir lernen - und folglich einen Nutzen ziehen - können. Schließlich können derartige Gefühle und ihre Reflektion erreichen, dass wir - sofern wir psychisch gesund sind und über ein Mindestmaß an Sozialkompetenz verfügen  - unser Verhalten korrigieren können. Bei Schadenfreude sieht das schon anders aus. Es handelt sich um negative Gefühle, aus denen wir im Prinzip keinen positiven Nutzen ziehen können. Derartige Gefühle prallen nämlich auf uns selbst zurück.

 

Dennoch sind im gesellschaftlichen Kontext mittlerweile sehr viele Menschen über das gesunde Maß bzw. das gesunde Ziel hinausgeschossen, wodurch eine regelrechte bewusst initiierte Beschämungskultur entstanden ist. Diese bezieht sich nicht nur auf den Drang z.B. als Künstler durch öffentliche Nacktheit zu provozieren, sondern auch auf viele andere Lebensbereiche, in denen es mittlerweile geradewegs schick ist, sich unangemessen, auffällig bis peinlich zu verhalten, um den sogenannten "Kick" oder "Thrill" zu erhalten, den bestimmte Persönlichkeiten geradewegs suchen.

 

Hinzu kommt, dass sich Menschen derartige Verhaltensweisen von anderen abschauen und über das Nacheifern zuzüglich Feedback neue Gefühle lernen und verinnerlichen, ohne dies zu hinterfragen. Früher war die Kirche und der Glaube ein ganz wesentlicher moralischer Anhaltspunkt, nach dem sich unser Verhalten, aber ebenso Gefühle ausrichteten. Kirche und Glaube fallen in unserer Gesellschaft jedoch immer mehr weg. Als Ersatz dienen die Medien - und dazu gehört eben auch das Dschungelcamp.

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