Hintergrundwissen "Kontrollillusion"

Mehrwert-Infos für Vielleser, Mehrwisser, Besserwisser

Menschen fühlen sich glücklich und gesund, wenn sie Kontrolle über ihr Leben haben - oder zumindest das Gefühl der Kontrolle haben. Das liegt daran, dass wir zumeist denken bzw. annehmen, dass alles erklärbar ist und folglich alles erklärbar sein muss. Ereignisse, die wir uns weder erklären, noch selbst unmittelbar beeinflussen können, mögen wir daher gar nicht.

 

Wenn wir uns unvorhergesehene Ereignisse, die sich unserer Kontrolle entziehen, wenigstens irgendwie logisch erklären können, weil wir z.B. Ursache und Wirkung kennen, behalten wir zumindest das Gefühl der Kontrolle, haben ein bestimmtes Kontrollempfinden und bleiben dadurch in der Lage, bestimmte Voraussagen zu treffen. Selbst wenn derartige Voraussagen, nach denen wir stetig streben, sehr theoretisch und wage sind, so haben wir wenigstens das Gefühl, in ein Ereignis eingreifen und es irgendwie zu unseren Gunsten beeinflussen zu können.

Wenn wir aber weder einen Einfluss auf ein Ereignis haben, noch eine Erklärung für das Ereignis finden, bekommen wir den Eindruck, einer unerklärlichen Willkür ausgeliefert zu sein. Das Gefühl, die völlige Kontrolle verloren zu haben, würde zu einem derart unerträglichem Gefühl der Hilflosigkeit und einem derart starkem Zweifel am Leben führen, dass unser Gehirn es nicht zulässt und versucht, seinerseits die Kontrolle zurückzugewinnen.

 

Je mehr uns die Kontrolle entgleitet, desto stärker basteln wir uns mit Hilfe unserer Vorstellungskraft (=Phantasie) die wahnwitzigsten phantastische Erklärungen für all das zusammen, was um uns herum oder mit uns geschieht. Wir sehen dann, selbst da, wo es keine gibt, irgendwelche Zusammenhänge, finden dann regelrechte Muster, Systeme, Trends und Gesetzmäßigkeiten, obwohl es sich in Wahrheit um reine Zufälle oder um Chaos handelt.

 

Wir hören dann quasi geradewegs "die Flöhe husten" und "das Gras wachsen", erinnern uns an irgendwelche Bauernweisheiten oder an Aberglauben. Wir finden phantastische oder mystische Regelwerke (z.B. Schwarze Katze) oder glauben plötzlich an Gespenster und andere übersinnliche Phänomene. Manchmal finden Menschen, die das Gefühl bekommen, die Kontrolle zu verlieren, dann plötzlich (wieder) an Gott oder flehen Schutzpatrone und Heilige an. Andere sehen hinter bestimmten Ereignissen, die sie sich nicht erklären können, sogar eine Verschwörung und bilden regelrechte Verschwörungstheorien.

 

Das Gleiche gilt selbst dann, wenn wir zwar eine Erklärung für ein Ereignis haben, wir diese Erklärung aber nicht akzeptieren wollen. In solchen Situationen puzzeln wir uns die abstrusesten Erklärungen zusammen und bilden uns daraus eine eigene völlig neue Logik. Dabei ist unser Gehirn äußerst kreativ.

 

Menschen brauchen möglichst Kontrollerlebnisse, die ihnen zeigen, dass sie prinzipiell alles unter Kontrolle haben. Fehlen derartige Erlebnisse, dann brauchen wir zumindest eine Erklärung. Fehlt eine entsprechende Erklärung, basteln sich unser Gehirn eine eigene mit Hilfe kreativer Phantasien. Je mehr Kontrolle wir generell in unserem Leben haben, desto eher sind wir in der Lage, uns mit Situationen und Ereignissen abzufinden, für die wir spontan keine Erklärung finden, weil sie einzig und allein auf Chaos beruhen. 

 

Wir denken stets, dass alles erklärbar ist und erklärbar sein muss. Vielleicht gibt es für manche Dinge aber gar keine Erklärung. Vielleicht gibt es aber auch eine ganz einfache, nahe liegende Erklärung, die wir einfach nicht wahrhaben wollen. Derartige Gefühle zuzulassen und auszuhalten, ist nicht nur eine fast übermenschliche Kunst, sondern in Wahrheit eine erlernbare Fähigkeit.

 

In gewisser Hinsicht steht die Kontrollillusion in Verbindung mit dem sogenannten Attributionsfehler (auch Fundamentaler Attributionsfehler genannt). Auch hier werden einfache Lösungen angezweifelt und stattdessen etwas Komplexes dahinter vermutet: Was sich Menschen nicht erklären können, weil sie anders denken, kann und darf ihrer Auffassung nach, nicht so einfach sein wie es dargestellt wird. Daher wird nach einer komplexen intelligenten Lösung gesucht, selbst dort, wo es gar keine komplexe oder intellektuell anspruchsvolle Ursächlichkeit gibt. Dies kann zu einem regelrechten Wahn führen oder mit einem solchen in Verbindung stehen.

 

In gewisser Hinsicht steht die Kontrollillusion auch in einem Zusammenhang mit dem z.B. aus der Psychiatrie bekannten "Rorschach-Test", schließlich erfolgt auch hier eine phantasiereiche "Entschlüsselung" von Bildern bzw. chaotischen Tintenkleksen, die jedoch von den Testpersonen mehr oder weniger phantasiereich interpretiert werden.