Hintergrundwissen "Attributionsfehler"

Mehrwert-Infos für Vielleser, Mehrwisser, Besserwisser

Attributionsfehler basieren auf Attributionsprozessen. Hier geht es darum, wie wir die Ursachen von Ereignissen erklären bzw. auf entsprechende Ursächlichkeiten schließen, wie wir unser Verhalten und das anderer Menschen erklären.

 

Grundsätzlich können die Ursachen von Verhalten in der Persönlichkeit liegen oder auf äußere Umstände zurückgeführt werden. Diesbezüglich unterscheidet man u.a. zwischen soigenannter "internaler" und "externaler" Attribution sowie zwischen "dispositionalen" und "situationalen" Faktoren.

 

Die Art und Weise wie wir attribuieren, hat einen starken Einfluss auf unsere Einstellung zu der jeweiligen Person. Ebenfalls hat die Einstellung zu einer Person einen starken Einfluss auf die Art, zu attribuieren bzw. auf die Schlüsse und Zusammenhänge, die wir entsprechend ableiten. Wir begegnen Ereignissen stets mit bestimmten Vorannahmen, interpretieren die jeweilige Situation und leiten daraus Verhaltenserwartungen ab.

 

Bereits diese Erwartungen können stark fehlerbehaftet oder gänzlich falsch sein. Oft schreiben wir anderen Personen bestimmte Erwartungen bzw. eine ganz bestimmte Erwartungshaltung (z.B. uns selbst gegenüber) zu, die tatsächlich aber gar nicht vorhanden - oder ganz anders ist.

 

Ein Attributionsfehler (auch "Fundamentaler Attributionsfehler" oder "Korrespondenzverzerrung" bzw. "ultimativer Attributionsfehler") beschreibt - einfach ausgedrückt - die Tendenz von Beobachtern, die beobachteten Personen selbst als Ursache für die Handlungen der beobachteten Personen zu sehen.

 

Während das Verhalten anderer auf deren Persönlichkeit zurückgeführt wird, werden soziale und situationsbedingte Einflüsse übersehen bzw. bei der Beurteilung von Ursächlichkeiten vernachlässigt. Tatsächlich besteht eine Neigung, den Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften und Einstellungen auf das Verhalten einer Person zu überschätzen und äußere Faktoren bzw. Einflüsse zu unterschätzen. Fachlich ausgedrückt, werden dispositionale Faktoren überbewertet und gleichzeitig situationale und externe Faktoren unterbewertet. 

 

So wird z.B. aggressives Verhalten zumeist auf eine grundsätzliche Aggressivität des Akteurs zurückgeführt und freundliches Verhalten auf einen freundlichen Menschen. Der Attributionsfehler geht aber noch weiter: So wird z.B. bereits von einer lauten Stimme auf einen grundsätzlich aggressiven Menschen geschlossen oder von einem verschütteten Glas auf einen "Schussel". Wenn jemand eine Prüfung nicht besteht, halten wir ihn ganz einfach für "dumm" oder "faul".

 

Dass die betreffende Person zuvor einen schweren Unfall erlebt hat, bei dem die nächsten Familienangehörigen ums Leben gekommen sind und nun nach einer schlaflosen Nacht im Krankenhaus an nichts anderes mehr denken kann als das erfahrene Trauma und tiefe Trauer, sieht man nicht und hinterfragt es nicht. Das Nächstliegende ist für unser Gehirn einfacher, bequemer und ökonomischer. Insbesondere extremes Verhalten (z.B. ein Mord) wird bevorzugt auf einfache Erklärungen zurückgeführt. Die Erklärungsversuche beschränken sich zumeist auf Persönlichkeitsmerkmale und auf demnach logische Motive, was die Aufklärung eines Mordes erschweren kann.

 

Der Attributionsfehler ist ökonomisch und bequem. Er erleichtert unserem Gehirn, sich in der Welt schnell und einfach zurechtzufinden, schnelle Erklärungen zu finden, schnelle Urteile zu fällen und wichtige Ressourcen zu sparen. Er hilft, die eigene Logik nicht in Frage stellen zu müssen und bestätigt Vorurteile. Beim Attributionsfehler steht die Zuschreibung von Ursachen für bestimmtes Verhalten in einer Verbindung zu subjektiv vermuteten bzw. schnell unterstellten Eigenschaften ohne aufwändige Prüfung komplexer Sachverhalte und des Realitätsgehalts.

 

Für unser Gehirn spielt es keine Rolle, warum z.B. jemand zu einem Termin zu spät kommt. Es sieht lediglich den anderen Menschen als aktuellen und zukünftigen Kooperationsartner und fokussiert die Beurteilung allein auf ihn. Wenn jemand nicht oder zu spät zu einem Termin erscheint, gehen wir nicht etwa davon aus, dass ein Bahnstreik oder Todesfall oder einer der unzähligen anderen möglichen Umwelteinflüsse ursächlich sein könnte, sondern von unterstellten Eigenschaften wie geringe Motivation, Unzuverlässigkeit oder Desinteresse der verspäteten oder nicht zum Termin erschienenen Person. Wir wollen wissen mit wem wir es zu tun haben und nicht wieso, weshalb und warum. Letzteres hilft uns nicht. Ebenso wie wir Stereotype brauchen, brauchen wir Kategorien wie "verlässlich" oder "unzuverlässig".

Erklärt man sich das Verhalten eines Menschen damit, dass er einer bestimmten sozialen Gruppe angehört, spricht man von einem "ultimativem Attributionsfehler", der wiederum auf zusätzlichen Menschenbildannahmen (Stereotype) basiert.


Der Attributionsfehler bestätigt eigene Vorurteile und verzerrt die Wahrnehmung zum eigenen logischen Verständnis. Die eigene Logik muss kurz, schnell und unkompliziert erfolgen. Daher verschwendet unser Gehirn keine Ressourcen für ferne Dinge. Wenn wir die Ursache für das Verhalten eines Menschen erklären wollen, richten wir die meiste Aufmerksamkeit allein aus ökonomischen Gründen genau auf diesen Menschen, nicht aber auf alles andere, was ursächlich sein könnte oder mit dem beobachteten Verhalten in eigentlicher Verbindung steht.

 

Dadurch neigt man dazu, die in der Person liegenden möglichen Ursachen zu überschätzen und verdrängt die vielen anderen und eigentlichen Ursachen. Dies liegt auch daran, dass die nicht in der Person liegenden externen Ursachen (Außeneinflüsse) zum Zeitpunkt des beobachteten Verhaltens oft gar nicht mehr vorhanden oder nicht sichtbar sind. Wir können sie nicht beurteilen und klammern uns folglich nur an das, was unmittelbar naheliegend ist - und genau das ist eben die Person und ihr Charakter.

 

Hinzu kommt, dass auffällige Dinge generell einen größeren Einfluss auf die Ursachenzuschreibungen haben (Perzeptuelle Salienz). Je nachdem, wie gut wir jemanden sehen, beurteilen wir ihn. Aus der Dominanz der eigenen Sicht schlussfolgern wir unbewusst die Dominanz der beobachteten Person und beurteilen sie entsprechend unserer eigenen Sicht und Aufmerksamkeit. So auch beim Attributionsfehler: Das Verhalten des Handelnden fällt ins Auge, nicht aber das gesamte Drumherum. Beobachtbares Verhalten ist auffallender (salienter) als der situative Zusammenhang (situationale Kontext).

 

Hinzu kommt noch die Tatsache, dass wir das das eigentliche tatsächliche Verhalten nicht richtig beobachten und wahrnehmen können. Es sind lediglich einige oberflächliche Eindrücke, die wir wahrnehmen und sprachlich mit kurzen (verkürzte) Begriffen umschreiben. 
 
Wie die meisten Wahrnehmungsfehler, so erfolgt auch der Attributionsfehler in der Regel schnell, unbewusst und völlig automatisch. Dies liegt daran, dass unser Gehirn mit seinen Ressourcen ökonomisch haushalten muss. Nur wer viel Zeit zum Nachdenken hat, konzentriert und - darüber hinaus - hoch motiviert ist, könnte einen etwaigen Attributionsfehler ggf. bewusst hinterfragen. Da wir aber überwiegend von Gefühlen gesteuert sind und in Bezug auf Attributionsgeschehen Gefühle sehr stark involviert sind, stehen die Chancen sehr schlecht, dass wir die Dinge klar sehen.

 

Selbst wenn wir erfahren, dass für bestimmtes Verhalten, das uns nicht gefällt, in Wahrheit externe Umwelteinflüsse ursächlich waren, negieren wir diese und die Eigenschaftszuordnung bleibt haften. Selbst dann, wenn wir logisch nachvollziehbare oder beweisbare Ursächlichkeiten erfahren, bleibt unser Urteil verzerrt (Ankerheuristik). Auch dann sind wir nicht in der Lage, objektiv zu urteilen, sondern verschieben lediglich die erste Fehleinschätzung minimal in Richtung der eigentlichen externen Einflüsse. Da der erste Gedanke bzw. die erste Einschätzung haften bleibt, werden auch alle weiteren Einschätzungen genau davon beeinflusst.

 

Je individualistischer und selbstbestimmter der Mensch ist, desto stärker ist die Gefahr des Attributionsfehlers. Dies trifft auch auf Menschen zu, die sich für besonders intelligent halten oder jene, die von ihrer guten Menschenkenntnis überzeugt sind. Menschen mit geringerer Individualität und Selbstbestimmung oder Menschen aus sehr kollektivistischen Kulturkreisen, neigen grundsätzlich etwas weniger zur internen Attribution bzw. zur Voreingenommenheit bzw. zum Attributionsfehler.

 

Den Attributionsfehler macht man nicht in Bezug auf die eigene Person, sondern in Bezug auf das Verhalten anderer. Das liegt daran, weil man selbst aufgrund der eigenen Kenntnis und Erfahrung in Bezug auf externe Ursächlichkeiten, die Ursachen für bestimmtes Verhalten ein wenig besser einschätzen kann. Zwar trifft auch dies nicht zu und es gibt in Wahrheit vielleicht ganz andere Ursachen, man selbst meint es aber zumindest oder ist sogar davon überzeugt. Daher ist man sich selbst gegenüber weniger voreingenommen (Akteur-Beobachter-Unterschied).

 

Es gibt jedoch einen weiteren Grund: Menschen haben eine starke Motivation, ihr Selbstwertgefühl gegen Bedrohungen von außen zu verteidigen. Sie neigen daher dazu, ihre Erfolge eher sich selbst (intern) zuzuschreiben und Misserfolge eher der Außenwelt (extern) zuzuschreiben, insbesondere dann, wenn wenig Aussicht auf Erfolg oder auf Leistungsverbesserung besteht (Selbstwertdienliche Attribution).

Da Menschen auf andere Menschen möglichst positiv wirken - und ihr Selbstwertgefühl nicht beeinträchtigen wollen (einen guten Eindruck auf andere machen), stellen sie ihre Erfolge oder Misserfolge nach außen entsprechend der selbstwertdienlichen Attributionen dar. Bei Misserfolgen wird meistens anderen die Schuld in die Schuhe geschoben bzw. die Ursächlichkeit der Umwelt zugeschrieben, während man Erfolge angeblich stets selbst von innen heraus erreicht hat.

 

Ähnlich wie bei der Kontrollillusion ist der fundamentale Attributionsfehler vermutlich zugleich mit ursächlich für die Entstehung bzw. Erklärung sogenannter "Verschwörungstheorien", bei denen hinter einem bestimmten Ereignis manipulatives, geheimes, listiges oder böswilliges Handeln von außen (z.B. durch Verschwörer, Staatsorgane etc.) vermutet wird.

 

Hier wirkt der Attributionsfehler jedoch aufgrund der bestimmten Einstellung und Disposition der Verschwörungstheoretiker genau umgekehrt, was auch mit der kognitiven und psychischen Konstitution in Zusammenhang stehen kann. Die einfache Lösung wird angezweifelt und stattdessen etwas Komplexes dahinter vermutet. Was sich Menschen nicht erklären können, weil sie anders denken, kann und darf ihrer Auffassung nach, nicht so einfach sein wie es dargestellt wird. Daher wird nach einer komplexen intelligenten Lösung gesucht, selbst dort, wo es gar keine komplexe oder intellektuell anspruchsvolle Ursächlichkeit gibt. Dies kann zu einem regelrechten Wahn führen oder mit einem solchen in Verbindung stehen.