Hintergrundwissen "Thematischer Auffassungstest (TAT)"

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In der Psychologie nutzt man bereits seit langem menschliche Projektionen zur Aufdeckung, Deutung und Bewusstmachung verborgener Gedanken und Gefühle, geheimer Bedürfnisse und Phantasien sowie unterdrückter Hoffnungen und Ängste.

Projektion bezeichnet die allgemein verbreitete Neigung, in einem äußeren Objekt (z.B. ein Bild, ein Fleck, eine Wolke, ein Gesicht oder dem Verhalten eines anderen Menschen) Dinge wahrzunehmen, die in Wirklichkeit lediglich das Produkt der eigenen Phantasie sind. Doch dieses Phantasieprodukt, das unserem Unterbewusstsein entspringt, ist sehr ernst zu nehmen. Schließlich öffnet es die Türe in das Unbewusste - und genau das steuert - wie man aus den Neurowissenschaften mittlerweile weiß - an Stelle der angenommenen Logik und Analytik maßgeblich unser Verhalten und unsere Entscheidungen.  

 

Der Thematische Auffassungstest (oder Apperzeptionstest), kurz TAT genannt, ist neben dem Rohrschach-Test der bekannteste Projektionstest dieser Art. Beim TAT werden Bilder genutzt, die unterschiedliche Interpretationen erlauben. Diese Interpretationen spiegeln das Bewusstsein und das Unbewusste der Testperson, wobei die Bilder, Gefühle, Themen und Geschichten, die dem Betrachter in den Sinn kommen, breitgefächerte Analysen und Diagnosen zulassen. 

 

Der Thematische Auffassungstest wurde 1935 von Henry A. Murray und Christiana D. Morgan entwickelt. Eingesetzt wird er als Persönlichkeitstest oder als Motivationstest z.B. zur Messung von Motiven. Ebenso kann er zur Erkennung tieferliegender Ängste und Störungen eingesetzt werden. Weiterentwickelt wurde der Test u.a. von McClelland (Picture-Story-Exercise PSE), Moulton (1958) und Heckhausen (1963).

 

Bekannt wurde der TAT durch das Handbuch von Wilhelm Revers. Von Revers und Allesch wurden 1985 umfangreiche empirische Befunde und eine neue Version des TAT (TGT-(S) 1985) vorgestellt. Weiterhin wurde der operante Multi-Motiv-Test Osnabrück entwickelt. Darüber hinaus gibt es ein spezielles Testverfahren von Andreas Köhler (ib 2010).

In dem durch die Psychoanalyse inspirierten psychodiagnostischen Verfahren von Henry A. Murray legt man der Testperson schwarz-weiße Bildtafeln vor, die überwiegend Menschen in alltäglichen Situationen zeigen. Dabei handelt es sich um insgesamt 31 Karten, von denen maximal 20 in 2 Sitzungen vorgelegt werden. Auf der Rückseite der Karten befindet sich eine Nummerierung. Einige Karten tragen zusätzlich Buchstaben, die angeben für welche Personengruppe sie bestimmt sind. In einer Abwandlung des Tests werden nur die ersten 10 Tafeln und die Tafel Nr. 16 gezeigt. Je nach Fragestellung werden dann einzelne Tafeln der zweiten Serie  dazugenommen, wobei die Auswahl vom Thema abhängt.

Nach Angaben von Murray (1943) soll man die Testperson in der ersten Sitzung dazu auffordern, zu jeder der 10 Tafeln, die man ihm nacheinander zeigt, eine Geschichte zu erzählen, und zwar so dramatisch, wie möglich. Folgendes soll erzählt werden:


a) Was führte zu der gezeigten Situation?, b) Was geschieht gerade?, c) Was fühlen und denken die Personen? und d) Wie ist der Ausgang der Geschichte? Laut Murray gibt es für die Beschreibung der 10 Tafeln 50 Minuten Zeit, folglich ca. 5 Minuten pro Bild. In einer zweiten Sitzung, die mindestens 1 Tag Abstand zur ersten Sitzung haben soll, werden dann Geschichten zu den nächsten 10 Tafeln erzählt. Der Testperson soll allerdings in der ersten Sitzung nicht erzählt werden, dass er in der zweiten Sitzung wieder Geschichten erzählen soll. Damit soll vermieden werden, dass da er sonst ggf. vorher Geschichten sammelt bzw. sich zurecht legt. Im Anschluss bzw. später wird ein Interview geführt, um den für die Interpretation wichtigen biografischen Hintergrund zu den Geschichten kennenzulernen.

Aus den Inhalten der Geschichten schließt der Untersucher auf das innere Erleben und die persönliche Wahrnehmung der Testperson, wobei die Auswertung entweder über einen Auszählungsmechanismus nach objektiven Kriterien oder durch intuitiv-ganzheitliche Betrachtung erfolgt. In seinem Handbuch macht Murray (1943) Vorschläge für die Auswertung, jeder einzelnen Geschichte. Dabei gilt es festzustellen, a) wer der literarische Held der Geschichte ist, b) welche Motive, Bestrebungen und Gefühle der Held hat (needs), c) welchen Einfluss die Umwelt des Helden hat (presses), d) welchen Ausgang die Geschichte hat, e) welches Thema need-press-Kombination in Verbindung mit dem Ausgang bildet und f) welche Interessen und Gefühle der Erzähler damit ausdrückt.

 

In den 80er Jahren wurde am Psychologischen Institut der Universität Köln ein anderes, beschreibungsnahes Auswertungsschema entwickelt. Hier gilt folgendes festzustellen: a) Klagen: Welches Problem wird in der Geschichte beschrieben?, b) Gelebte Methoden: Welche Taktik bzw. Strategie (Methode) wird in der Geschichte deutlich?, c) Konstruktionsproblem: Rekonstruktion des seelischen Prinzips hinter der Geschichte und d) Konkretes Handeln: Enthält die Geschichte überhaupt konkretes Tun und ggf. Lösungen?

Hinsichtlich der Reliabilität des Tests so birgt allein der Auftrag, eine fantasievolle, originelle Geschichten zu erfinden, eine Gefahr. Je nachdem, welche Worte hier benutzt werden und mit welchem paraverbalen und nonverbalen Eindrücken und Stimmungen das Gesagte vermittelt wird, besteht die Gefahr einer neurolinguistischen Programmierung bzw. Beeinflussung.

 

Andreas Köhler (ib) hat daher für sein neu entwickeltes Verfahren festgelegt, wie konkret die Aufforderung zur Erzählung zu vermitteln ist. Unter anderem stuft Köhler von a) der allgemeinen sachlichen Aufforderung zur b) emotional geprägten Aufforderung zur Dramaturgie. Ebenso sind motivationale Prozesse und kognitive Prozesse abzuklären z.B. zur Abklärung von Langeweile oder Misstrauen oder in Bezug auf die generelle Tendenz zur Vermeidung von Wiederholungen.

 

Neben der Vermeidung möglicher Kommunikationsfehler und Störungen gilt es nach dem modernen Testkonzept von Köhler, mögliche Wahrnehmungsfehler des Testers selbst zu vermeiden und insbesondere durch Fragen und Nachfragen abzuklären. In der Weiterentwicklung des Tests nach Köhler gibt es zusätzlich eine Individualform, bei der ohne den Anspruch einer hohen Allgemeingültigkeit bei jeder Geschichte individuell detailliert gefragt, nachgefragt und direkt in die Tiefe gegangen wird. In dieser Form dient der Test weniger der Testung an sich als vielmehr der Klärung tief sitzender ursächlicher Motive und Spannungen, die sich ggf. ungünstig auf konkrete Denk- und Verhaltensmuster auswirken. Die Individual-Test-Version von Köhler geht mit weiteren ergänzenden, klärenden bzw. klar stellenden und/oder bestätigenden Tests sowie unmittelbar folgenden gezielten Coaching-Sitzungen einher.

Jedes Bild scheint voller Implikationen und Mehrdeutigkeiten zu sein. Theoretisch könnte man - sofern es keine zeitliche Begrenzung gäbe - einen Roman daraus machen. Bilder wie die des TAT laden dazu ein, regelrechte Geschichten zu erfinden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass jede erfundene Geschichte ihren Ursprung hat. Selbst wenn wir unserer Phantasie und Kreativität freien Lauf lassen: Immer liegt der Ursprung in uns bzw. bei dem, was bereits in unserem Gedächtnis vorhanden ist. Daher ist keine auf solche Art projezierte Geschichte frei von unterschwelligen Bedeutungen, die alle einen Ursprung haben.

 

Dieser Ursprung entscheidet mit über unser aktuelles Denken und Handeln. Jede Geschichte öffnet daher eine Tür zur eigenen Geschichte des Erzählers und eine Tür in sein Unterbewusstsein. Ein ähnlicher Test ist der bekannte Rorschach-Test.

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