Hintergrundwissen "Selbstwertdienliche Verzerrungen"

Selbstwert-Effekt, Social-Cognition-Effekt, Overconfidence-effect, Überlegenheitsillusion

Mehrwert-Infos für Vielleser, Mehrwisser, Besserwisser

Einleitung

Unser Leben wird bestimmt durch den Glauben an den eigenen Selbstwert.
Weil wir "sind" und uns wahrnehmen, messen wir uns als Individuum einen bestimmten Wert zu. Diesen Wert wollen wir a) schützen und b) steigern.

In der Regel stellen wir den Wert unserer eigenen Person über den der anderen.
Bei eigenem Versagen finden wir die abstrusesten (externen) Erklärungen,
eigene Erfolge schreiben wir hingegen ausschließlich uns selbst zu.

Unsere Selbstwert-Vorstellung beeinflusst und verzerrt unsere Wahrnehmung,
führt zu bestimmten (Menschenbild-) Annahmen über uns und andere und darüber hinaus zu bestimmten Erwartungen an die eigene Selbstwirksamkeit (
Selbstwirksamkeitserwartung).

So ist z.B. der Effekt der Selbstwirksamkeitserwartung - obgleich er zumeist auf einem Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler basiert, ein sehr positiver Effekt. Diesem positiven Effekt stehen verschiedene negativ wirkende Effekte gegenüber. Dazu zählt unter anderem der sogenannte Selbstwert-Effekt.

 

Andere Effekte wie z.B. die Überlegenheitsillusion haben sowohl eine positive

als auch eine negative Seite. Wir sollten sie kennen. Dennoch: In einer konkreten Situation, in der einer der Effekte wirkt, werden wir nicht daran denken oder nicht (mehr) daran glauben. Unser Gehirn riegelt ab uns stellt die Wahrnehmung um - damit auch unsere Selbstüberzeugung.

 

Auf jeden Fall besteht bei uns Menschen der Hang, sich selbst in einem günstigen Licht zu sehen, sich selbst nach außen in ein günstiges Licht zu stellen und das eigene positive Bild von sich nach innen und außen - unabhängig von der Realität - aufrechtzuerhalten. Um dies zu erreichen, verzerren wir unsere Wahrnehmung und die Realität so, dass sie zur Aufrechterhaltung unseres Selbstwertes passt und unseren Selbstwert möglichst steigert.

 

Die Aufwertung unserer Person macht uns Mut und gibt uns Tatendrang,
verleitet uns aber ebenso zu Übermut und Hochmut und lässt und in gewissen Situationen im wahrsten Sinne regelrecht "vor die Pumpe laufen".

Selbstwert-Effekt

Zu den grundlegenden Motiven von Menschen zählt u.a. das Bedürfnis, das eigene Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten. Anstatt sich eine falsche persönliche Sicht oder persönliche Fehler und Schwächen zuzugestehen, besteht das Bedürfnis, das eigene Verhalten zu rechtfertigen. Die individuelle Wahrnehmung passt sich dem an.

 

Empfinden also Menschen eine kognitive Dissonanz bzw. eine Bedrohung ihres Selbstwertgefühls, neigen sie zum Zwecke des Selbstschutzes und zur Aufrechterhaltung des Selbstwertgefühls dazu, die Realität in Richtung einer ihrem Selbstbild entsprechenden Logik zu verzerren. 

 

Bei der Selbstwirksamkeitserwartung ist dies ähnlich, nur mit dem Unterschied, dass die Erklärungsversuche weniger irrational sind, allein deshalb, weil Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung Ursächlichkeiten (z.B. die Schuld an Fehlern, Misserfolgen oder Versagen) nicht ihrer Umwelt zuschreiben.

 

Während beim Selbstwert-Effekt die Tatsachen so verdreht werden, dass z.B. allen möglichen Umständen und Menschen die Schuld an Misserfolgen zugeschrieben - und dadurch die Erkennung eigener Fehler behindert - wird, können Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung an Stelle von irrationalen umweltbezogenen Ursächlichkeitszuschreibungen und paradoxem Verhalten aus Fehlern lernen und - in Verbindung mit weiteren o.g. Komponenten - positive Rückschlüsse daraus ziehen.

Selbstwertdienliche Verzerrung

Unter einer selbstwertdienlichen Verzerrung (engl. self-serving bias)
versteht man den Hang eines Menschen, sich selbst in einem günstigen Licht zu sehen und sich selbst nach außen in ein günstiges Licht zu stellen.

 

Die Selbstwertdienliche Verzerrung bezeichnet in der Sozialpsychologie die Tendenz, eigene Erfolge im Zweifelsfall eher inneren Ursachen (z.B. eigene Fähigkeiten) und eigene Misserfolge (z.B. Versagen) eher äußeren Ursachen (z.B. die besondere Situation, die besondere Schwierigkeit einer Aufgabe, negative Umwelteinflüsse oder dem Zufall etc.) zuzuschreiben. Die Verzerrung geht auf kognitive und motivationale Faktoren zurück und fällt,  je nachdem, ob es sich um eine private oder eine öffentliche Situation handelt, anders aus.

 

Es gibt hier zwei unterschiedliche Verzerrungen:

Eine, die den Selbstwert steigert (Anspruch auf Verantwortlichkeit für Erfolg)
und eine, die dem reinen Selbstschutz dient (Ablehnung der Verantwortung für Misserfolg). Self serving bias (auch als "Egotismus" bezeichnet) ist - unabhängig von einer konkreten Selbstwertbeeinträchtigung - bei allen Menschen vorhanden.

 

Die selbstwertsteigernde Verzerrung basiert zumeist auf kognitiven Faktoren,
da der jeweils Handelnde häufig bereits schon vorher eine bestimmte Attributions-Option bereitstellt. Menschen nutzen manipulative Faktoren, um einen zu erwarteten Misserfolg zu verschleiern und dadurch rechtzeitig selbstwertunterstützende Erklärungen für ihr Versagen bereitstellen zu können. Diese "proaktive" Attributionsverzerrung wirkt oft wie eine Selbstbehinderung.

 

Akteur-Beobachter-Divergenz

Handlungen anderer Menschen werden eher mit deren Persönlichkeitseigenschaften, eigenes Verhalten eher mit der speziellen Situation begründet.

 

Kelleys Kovariationsprinzip
Das Wissen darüber, eine Aufgabe normalerweise bewältigen zu können,
führt dazu, einen Erfolg auf innere, ein Versagen auf äußere Faktoren zurückzuführen.

 

1. Verteidigung eines stabilen, positiven Selbstbildes
Wird das Ergebnis des eigenen Verhaltens als Scheitern gewertet,
dient die selbstwertstützende Verzerrung der Aufrechterhaltung eines stabilen, positiven Selbstbildes. Die kognitive Verzerrung ist ein Mechanismus, welcher der Vermeidung kognitiver Dissonanzen dient z.B. dann, wenn die Einsicht droht,
dass selbst bei stärkeren Anstrengungen ein erneutes Versagen nicht verhindern werden kann. 


2. Selbstdarstellung / im guten Licht stehen
Der zweite Grund, Ursachen selbstwertdienlich zu attribuieren, ist der Wunsch, sich selbst und anderen gegenüber in einem guten Licht zu erscheinen. Zur Erklärung bzw. Begründung eines Misserfolges bzw. eines schlechten Ergebnisses greifen Menschen dann auf regelrechte Ausreden zurück, die mit der Realität jedoch nichts zu tun haben. Sofern dies bewusst, vorsätzlich und systematisch erfolgt, spricht man von Impression-Management.

3. Defensiv-Attributionen
Defensiv-Attributionen dienen der Vermeidung von Hilflosigkeit. Das Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht, bestimmten Situationen (bestimmten Krankheiten, Katastrophen, Verbrechen oder der eigenen Sterblichkeit) ausgesetzt zu sein, selbst aber nichts dagegen unternehmen zu können, ist für Menschen derart unerträglich, dass sie sich zum Zwecke der Verteidigung bestimmte Dinge einreden (Bildung von Defensiv-Attributionen) und daran glauben.

 

Derartige Defensivattributionen mildern das Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht ab. Wer sich z.B. einredet, dass bestimmte Dinge lediglich bestimmten Menschen zustoßen (z.B. Menschen, die selbst dazu beitragen, etwa weil sie z.B. unvorsichtig oder dumm sind) erzeugt die Illusion, das Auftreten derartiger Ereignisse beeinflussen zu können (Melvin Lerners „Gerechte-Welt-Hypothese“).

 

So geben sich z.B. Opfer einer Gewalttat - um das unerträgliche Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht abzumildern - selbst eine gewisse Mitschuld. Unbeteiligte Außenstehende machen es ihnen gleich: Um sich selbst einreden zu können, sie seien selbst gegen ähnliche Vorkommnisse immun, schreiben sie Opfern automatisch eine Mitschuld zu (sogenannte Opfer-Abwertung).


4. Unrealistischer Optimismus
Ein Grund dafür, Erfolge eigener Ursächlichkeit zuzuschreiben, ist der „unrealistische Optimismus“. Die Mehrheit der Menschen glaubt, mehr positive und weniger negative Erlebnisse zu haben als der Durchschnitt.

 

Beispiele:
Nach einer gut bestandenen Prüfung schätzen Schüler und Studenten das Leistungsmaß der Prüfung als „angemessenen" ein. Nach schlechten Bewertungen tendieren sie hingegen dazu, die Prüfung als "unfair" bzw. den Lernstoff oder die Prüfungsinhalte als "nicht repräsentativ" zu bewerten. Geschiedene Ehepartner tendieren stets dazu, die Schuld am Scheitern der Ehe dem anderen Partner zuzuschreiben. Bei militärischen Misserfolgen schreiben die Befehlshaber ihr Versagen bzw. ihre Niederlage oft nicht ihrer eigenen Strategie und Befehlsgebung, sondern ihren Soldaten und allen möglichen äußeren Umständen zu (Übermacht des Feindes, schlechtes Wetter, Versorgungslage etc.). Bei wirtschaftlichen Misserfolgen ihres Unternehmens geben Manager eher den Mitarbeitern, der Marktlage oder externen Unternehmen (Konkurrenten und Zulieferern) die Schuld, während Mitarbeiter dazu tendieren, nicht sich, sondern der Unternehmensführung die Schuld zuzuschreiben. Menschen empfinden Lohnerhöhungen dann als fair, wenn sie - unabhängig von ihrer tatsächlichen Leistung - mehr Geld als ihre Kollegen bekommen. Ebenso fühlen sich Menschen besser, wenn sie - unabhängig von der Höhe ihres Einkommens - auf jeden Fall mehr verdienen als andere, die sie kennen. Eine entsprechende Studie hat aufgezeigt, dass Probanden ein niedriges Gehalt, das jedoch deutlich höher war als das ihrer Kollegen, gegenüber einem hohen Gehalt, das alle Mitarbeiter bekamen, bevorzugten. Weiterhin haben selbstwertdienliche Verzerrungen auch einen großen Einfluss auf Beziehungen: Wir mögen und schätzen Menschen mit gleichen Ansichten und gleichem Ansehen mehr als andere.

Social-Cognition-Effekt

Zu den Bedürfnissen von Menschen gehört es auch das Bedürfnis nach Korrektheit. Die Richtigkeit der eigenen Verstandes-Logik aufrechtzuerhalten, ist ein regelrechtes Grundmotiv, ohne das Menschen an sich selbst, ihrem Verstand und ihrem Weltbild zweifeln. Schließlich geht jeder Mensch naiv davon aus, dass er sich und seine Umwelt realistisch und richtig einschätzt.


Bei der Beobachtung und Wahrnehmung setzt der Mensch daher gezielt kognitive Ressourcen ein, um die ihm zur Verfügung stehenden Informationen so zu ordnen und zu interpretieren, dass sie seiner eigenen Logik möglichst nicht widersprechen. Entstehen Widersprüche, werden die - aus der mit dem eigenen Verstand und Weltbild disharmonierenden Wahrnehmung resultierenden - Denkprozesse eingestellt und / oder so umgeleitet oder uminterpretiert, dass sie dem eigenen Weltbild entsprechen.


Insofern suchen, verarbeiten und interpretieren wir (auch selektiv) bestimmte Informationen, um bestimmte Urteile und Entscheidungen zu treffen. Dies bezieht sich sowohl auf das unbewusste automatische Denken, als auch auf das bewusst kontrollierte rationale und schlussfolgernde Denken.

Überlegenheitsillusion / Lake Wobegon-Effekt

Die Überlegenheitsillusion gehört zu den praktischen selbstwertdienlichen Verzerrungen, mit denen wir uns selbst schön reden und aufwerten. Sie hilft uns, ein positives Selbstbild zu entwickeln und zu behalten, was dazu führt, dass wir uns gut bzw. besser fühlen. Aufgrund der Illusion können wir aber auch genauso gut "vor die Pumpe laufen". Wie auch immer: Wir merken es erst, wenn es zu spät ist - und selbst dann wirkt die Verzerrung, die unserem Selbstwert dient weiter. Der Effekt der Überlegenheitsillusion beschreibt ein Vorurteil, das uns dazu verleitet, unsere Stärken im Vergleich zu anderen überzubewerten bzw. maßlos zu überschätzen. Bei dem Effekt handelt es sich - wie der Name sagt - um eine reine Illusion, die uns aber natürlich glaubwürdig erscheint, so glaubwürdig, dass wir nicht daran zweifeln. Wie wirkt die Illusion? (Detail-Infos)

 

Auf dem Prinzip der Überlegenheitsillusion basiert der Overconfidence-effect,

auch Overconfidence barrier-effect genannt:

Overconfidence-effect

Overconfidence barrier-effect

Es besteht eine grundsätzliche Tendenz des Menschen, von seinen eigenen Urteilen und seiner Urteilskraft überzeugt zu sein. Basis eines jeden Urteils bzw. einer jeden Entscheidung ist demnach die Selbstüberschätzung. Das Vertrauen in das eigene Urteilsvermögen ist bei Menschen größer als die objektive Richtigkeit dieser Urteile, vor allem dann, wenn das Selbstvertrauen und das generelle Vertrauen relativ hoch ist. 

 

Die eigene Überschätzung basiert auf einer natürlichen Fehlkalibrierung subjektiver Wahrscheinlichkeiten im Gehirn. Insofern handelt es sich um einen Mechanismus, der uns grundsätzlich Kraft und Mut verleiht und uns zum Handeln bewegt, wobei auch Risiken in Kauf genommen werden (müssen), da wir sonst nur bedingt handlungsfähig und nicht mutig genug wären, was unser Handeln hemmen würde. 


Die Tendenz zur Selbstüberschätzung beeinflusst unser Urteilsvermögen also bewusst, weil das Handeln an sich evolutionstechnisch wichtiger ist als die Richtigkeit des Handelns.

 

Bei Untersuchungen wurde im Schnitt eine Selbstüberschätzungs- und Übermütigkeits-Quote von 20 % gemessen. Man unterscheidet zwischen
a) der Überschätzung der tatsächlichen Leistung,
b) der Überbewertung der eigenen Leistung im Vergleich zu anderen und
c) der übermäßigen Gewissheit in Bezug auf die Richtigkeit der eigenen Überzeugungen (overprecision).


Untersuchungen zeigen, dass das Vertrauen in die eigene Person den Realitätsgehalt und die Genauigkeit systematisch übersteigt. Zudem halten sich Menschen grundsätzlich für besser als andere und besser, als sie wirklich (nachgemessen) sind. So lag bei Experimenten z.B. bei jenen Probanden, die sich bezüglich der Erwartung ihrer Richtigkeit zu 100 % sicher waren, die Fehlerquote bei 20 % anstatt bei 0%. Darüber hinaus konnte der Hang zur Übermütigkeit deutlich nachgewiesen werden.

 

Sobald die Genauigkeit (z.B. bei der Tefferquote)  80% übersteigt, erfolgt das menschliche Handeln sogar unterbewusst. Dann neigen wir dazu, angeblich selbst die Antworten auf komplizierte Probleme zu kennen, was als "Gott-Komplex" bezeichnet wird. Dies lässt sich auch im Alltagssituationen beobachten, wo Menschen mit vollem Selbstbewusstsein Lösungen für komplexe Weltfragen vorschlagen oder Lehrer relativ selbstbewusst darüber urteilen, dass einige Individuen und / oder Gruppen intelligenter seien als andere, was auch zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung führen kann. Der besagten Übermütigkeit stehen Ängste gegenüber, welche die Wahrnehmung und Urteilskraft ebenfalls stark beeinflussen.