Hintergrundwissen "Kleber-Effekt"

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Der Kleber-Effekt basiert auf einem Logischen Fehler (siehe Wahrnehmungsfehler) und zugleich auf einer Art Erwartungsfehler. Was den Logischen Fehler anbetrifft, so unterliegt ein Beobachter bzw. Entscheider aufgrund der Annahme, dass bestimmte Merkmale miteinander verkoppelt sind und in einer logischen Verbindung stehen, der Tendenz, die für ihn logisch zusammengehörenden Merkmale ähnlich zu bewerten, von ihnen Rückschlüsse zu ziehen und weitere Zusammenhänge abzuleiten.


Anders als beim klassischen Logischen Fehler werden beim Kleber-Effekt keine Eigenschaften miteinander in Verbindung gebracht, sondern Erfahrungswerte auf Basis vorausgegangener Beobachtungen. Aus diesen Erfahrungen leitet der Beobachter bzw. Entscheider eine bestimmte Erwartung ab, die zu einer Prognose führt, die er für wahrscheinlich bzw. sicher hält.

 

Die meisten kennen den Ausspruch "Ich kenne meine Pappenheimer", was so viel heißt wie "genau wissen, was man von jemandem bzw. einer bestimmten Personengruppe zu erwarten hat" bzw. konkret "Wer sich bis jetzt verlässlich zeigte, wird sich immer wieder verlässlich zeigen." Der Spruch entstammt aus dem Dreißigjährigen Krieg und bezieht sich auf die Pappenheimer Kürassiere des gleichnamigen Regiments. Verbreitung erfuhr die Redewendung in abgewandelter Form spätestens durch Schillers Drama "Wallensteins Tod“. Ähnlich wie Wallenstein oder Tilly dachte auch Napoleon hinsichtlich seiner Alten Garde 1815 bei Waterloo. Danach war nicht nur die Schlacht verloren, sondern auch Napoleon "weg vom Fenster".

 

Schuld war der Kleber-Effekt. Er besagt, dass einmal eingefahrene(r) Ruhm und Ehre an den Betreffenden bzw. Beurteilten für immer haften bleibt und auch in Zukunft das gleiche Verhalten erwartet - und daher sicher vorausgesetzt werden kann, im Positiven wie im Negativen. Während Wallenstein den Ausspruch voller Bewunderung und Hochachtung tat, meint das z.B. die Lehrerin in der Schule ggf. eher kritisch z.B. wenn sie Schüler vor Klassenarbeiten nach Spickzetteln durchsucht.

 

Zugleich beschreibt der Effekt die Überschätzung bzw. Unterschätzung von Leistungen. Der Effekt zeigte sich nicht nur im Militärwesen (z.B. 1415 bei Acincourt oder bei Hitlers Russlandfeldzug etc.) - besondere Wirkung zeigt der Kleber Effekt auch in der Schule, im Arbeitsleben und bei Entscheidungen im Hinblick auf die Personalauswahl und die Personalentwicklung.


Ein beobachteter oder beobachtbarer Verlauf (z.B. Lebenslauf eines Bewerbers oder die Personalbeurteilungs-Vita eines Angestellten) prägt die Sicht des Beurteilenden bzw. Entscheiders so stark, dass er von seiner bisherigen, sichtbaren Einschätzung nicht mehr zurück will. Fälschlicherweise wird auf Basis sogenannter Menschenkenntnis und der daraus resultierenden Erwartung (Erwartungsfehler) davon ausgegangen, dass jemand, der z.B. früher zuverlässig war, sich automatisch immer wieder zuverlässig verhält oder jemand, der gute Leistungen zeigte, auch in Zukunft immer wieder gute Leistungen erbringen wird.

 

Man geht davon aus, dass Menschen, die früher gut waren nicht plötzlich oder später schlecht sind. Umgekehrt geht man davon aus, dass Menschen, die in der Vergangenheit negative Muster zeigten, nicht anders können, als sich immer wieder negativ zu zeigen, was sogar zur Bewahrheitung einer sogenannten Selbsterfüllenden Prophezeiung (Rosenthal Effekt) (Ettikettierungs- und Stigmatierungsfehler) führen kann, aber eben nicht zwingend muss.

 

Wer früher schlecht war, kann nach Ansicht von Menschen nicht plötzlich gut sein und selbst bei höchster Motivation und Anstrengung kann ein Mensch dem Glauben nach nicht wirklich deutlich besser werden. Dies kann zu einem Stigma führen und - sowohl für die beobachtete und bewertete Person als auch für den Beobachter und Entscheider - sehr negative Konsequenzen haben.