Hintergrundwissen "Erinnerung & Erinnerungsfehler"

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Einführung: Erinnerung
Unter Erinnerung versteht man das mentale Wiedererleben früherer bzw. vorausgegangener Erlebnisse und Erfahrungen. Man unterscheidet Erinnerungen, die mit Hilfe unseres Erinnerungsvermögens abgerufen werden und solche, die spontan abgerufen werden z.B. durch Assoziation bzw. Verknüpfung mit früheren Erlebnissen.


Erinnerungen können unterschiedliche Informationen enthalten (Daten, Zahlen, bildhafte Elemente, Szenen, Geräusche, Stimmen, Klänge, Klangfarben und Gerüche und vor allem Gefühle), die auf unserer "Festplatte" bzw. im Langzeitgedächtnis in komprimierter Form abgespeichert sind und zur Aktivierung aufbereitet werden (müssen). 


Je nach Art der Erinnerung ist dies sehr präzise oder nur sehr vage möglich. Ähnliche, häufige und wiederkehrende Ereignisse verschmelzen mit der Zeit zu einem mentalen Schema und lassen sich dann zumeist nicht mehr als einzelne Erinnerung abrufen. Manchmal kommt es zur Vermischung unterschiedlichster Erinnerungen, manchmal zur Vermischung realer Erinnerungen mit Wunsch-Phantasien. Manchmal füllt unser Gehirn Erinnerungslücken einfach selbstständig auf. Wir erinnern uns dann zwar an etwas, das aber im Detail in Wirklichkeit anders war, als in unserer Erinnerung.


Rekonstruktive Erinnerung / Reconstructive Memory-Effect
Hierbei handelt es sich um ein Speicherproblem im Gehirn. Unsere Erinnerungen sind nicht vollständig. Oft bauen wir unbewusst fehlende Informationen, die wir erst viel später erfahren haben, in unsere Erinnerung ein.
Der Reconstructive Memory-Effect besagt, dass zum Zwecke der Vollständigkeit Gedächnislücken automatisch mit eigener Logik durch Details aufgefüllt werden, die in die Lücke bzw. zum Schema passen. Oft bauen wir - völlig unbewusst - Informationen in unsere Erinnerungen ein, die wir allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt erfahren haben. Manchmal nimmt dieser - gut gemeinte - Effekt sogar recht wahnwitzige Züge an z.B. dann, wenn wir Erinnerungen nicht nur zeitlich versetzt zusammenfügen, sondern Erinnerungslücken mit Phantasien z.B. Wunschvorstellungen auffüllen.

 

In Wirklichkeit ist nicht alles, woran wir uns erinnern, auch tatsächlich (so) passiert. Vieles ist erst im Nachhinein von unserem Gehirn ergänzt wurden - und zwar so, dass es unserem Denkschema entspricht. Unsere Einstellungen, Erwartungen, Bedürfnisse und Wünsche haben wir dazu ebenso mit einbezogen wie ganz andere Erfahrungen oder Phantasien. Je nach individuellem Denkschema kann man sich an Ereignisse und/oder Details erinnern, die gar nicht vorhanden sind.

 

Ein solches Speicherproblem kann zu schwerwiegenden Beurteilungsfehlern führen z.B. wenn sich Zeugen vor Gericht an einen bestimmten Tathergang erinnern sollen und das Gehirn unterschiedliche Erinnerungen zusammenwürfelt oder Erinnerungslücken nachträglich mit völlig anderen Informationen auffüllt bzw. Erinnerungslücken falsch rekonstruiert.

Dies geschieht insbesondere dann, wenn wir uns unter Zwang oder Druck erinnern müssen oder unsere Erinnerung ständig hinterfragt wird. Auch bestimmte Befragungstechniken von Anwälten, neurolinguistische Programmiertechniken (z.B. NLP) oder andere Beeinflussungstechniken führen dazu, dass unser Gehirn uns einen Streich spielt und wir dann eine Falschaussage machen, von deren Richtigkeit wir selbst jedoch überzeugt sind.

I
m Positiven führt der Effekt der Rekonstruktiven Erinnerung allerdings dazu, dass (z.B. in einer Psychotherapie oder mittel NLP) negative Erinnerungen, die z.B. zum Zwecke des Selbstschutzes einfach ausgeblendet werden, durch neue Erinnerungen bzw. nachträgliche positive Informationszugabe (durch entsprechende Positiv-Programmierung) ergänzt werden können, was zu entsprechend positiven Erinnerungen führt, die dann (wieder) zu positivem bzw. optimiertem Verhalten führen. Der Effekt der Rekonstuktiven  Erinnerung steht oft in Verbindung mit weiteren Effekten wie z.B. dem Source Monitoring-Effekt, wenn wir uns z.B. an etwas erinnern, aber gar nicht mehr wissen, woher wir diese Erinnerung bzw. die Information an sich überhaupt haben.

Was passiert mit uns, wenn ein derartiger Fehler entlarvt wird?

 

Preseverence effect
Selbst wenn die durch den o.g. Reconstruktive Memory Effect produzierten Denkfehler entlarvt werden, weil z.B. bewiesen wird, dass die Realität anders war als in der Erinnerung, wirkt sie dennoch weiter und wir sind nach wie vor fest davon überzeugt, dass eine Sache oder ein Ereignis genau so stattgefunden hat. Das liegt daran, dass durch die Aktivierung eines Schemas schemakonsistente Erinnerungen abgerufen werden, die aktiv bleiben. Sie werden zu unserer eigenen Überzeugung. Zugleich gehen wir felsenfest davon aus, dass auch andere, das genau so erlebt haben müssen. Bestimmten Experimenten (z.B. "False Feedback") zur Folge wirkt der Preseverence effect auch bei falschen Feedback z.B. wenn dies nachträglich relativiert bzw. korrigiert wird. Die Ursache ist relativ einfach und logisch: Bei positivem Feedback werden Erinnerungen an vergangene Leistungen und Erfolge aktiviert, während bei negativem Feedback Erinnerungen an Fehler, Schwächen und Defizite wieder hervorgerufen werden. Die Erinnerungen sind real, nur der Zusammenhang stimmt nicht. Aufgrund der realen Erinnerung kommt es - völlig unabhängig vom tatsächlichen Zusammenhang - zu entsprechend passenden Gefühlen. Da wir überwiegend von Emotionen gesteuert werden, überwiegen sie auch in ihrer Erinnerung.

 

Source Monitoring-Effect  / Source Monitoring Error / False Memory-Effect

Manchmal wissen wir Dinge, wissen aber nicht woher. Informationen vermischen sich häufig miteinander. Oft wissen wir nicht oder nicht genau, woher wir manche Erinnerungen bzw. Informationen, über die wir verfügen, haben. Wir wissen dann nicht, ob etwas tatsächlich passiert ist oder ob die Informationen, die wir in Erinnerung haben, wirklich real sind. Daher können wir bestimmte Sachverhalte nicht immer mit Wahrscheinlichkeit oder in richtiger Zuordnung wiedergeben und sind daher z.B. als Zeuge manchmal unbrauchbar, allein schon deshalb, weil wir nicht überzeugend sind.


Weitere Hintergründe:

Beim Source Monitoring-effect handelt es sich ebenfalls um ein Daten-Speicherungs-Problem in unserem Gehirn. Wir sehen, hören oder träume etwas, wissen aber nicht woher wir die entsprechenden Informationen überhaupt haben und ob die Information überhaupt real ist. Manchmal werden unterschiedlichste Informationen in unserem Gehirn miteinander so vermischt, dass sich neue Informationen ergeben, die durchaus richtig, sogar genial, aber auch völlig irrational sein können.

 

Der Einfluss kann zu kreativen systematischen Kombinationen, aber auch zu irrationalen Denkgebilden führen, die u.a. auf Wunschdenken zurückgeführt werden können, wobei bereits ein einziger Wunsch unsere komplette Datenbank und die ansonsten unabhängigen Erinnerungen verzerren kann. 

 

Beim besagten Effekt handelt es sich - wie bei der Rekonstruktiven Erinnerung - um einen Speicher-Fehler, bei dem Erinnerungen falsche Erfahrungen wiedergeben bzw. man selbst meint, dass etwas der Erinnerung entspringt, was aber in Wahrheit keine echte Erinnerung an sich ist, sondern vielmehr eine Kombination unterschiedlicher Informationen und/oder Phantasien.

 

Wenn wir nach Informationen suchen, die wir im Gehirn abgespeichert haben, starten wir im Gehirn - ähnlich wie beim PC - einen regelrechten Suchlauf, bei dem wir unsere Festplatte nach entsprechenden Daten (Erinnerungen) durchsuchen. Dies geschieht auch, wenn wir eine Eingebung haben oder uns als Zeuge vor Gericht an einen Täter oder einen Tathergang erinnern müssen.