Hintergrundwissen "Risikobereitschaft"

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Risikobereitschaft: Positiv betrachtet

Die Bereitschaft, Risiken einzugehen, ist eine unternehmerische Grundvoraussetzung und ein Motor unserer Evolution. Ohne das „Ausprobieren“ von Neuem ist kein Fortschritt und keine Entwicklung möglich.  Alles, was ungewiss ist, birgt zugleich ein Risiko. Jedes Risiko birgt Chancen.

Ziele zu erreichen, bedarf der Tatsache, dass man etwas unternimmt, die Dinge aktiv gestaltet und Chancen nutzt. Das Eingehen von Risiken gehört dazu. Ansonsten schafft man nichts Neues und keine Veränderung – auch nicht zum Positiven. Angst vor Risiken bedeutet zugleich ein Mangel an Veränderungsfreude, was man auch als "Beharrungsvermögen" und "Saturiertheit" bezeichnen kann. 

Aus psychologischer Sicht scheuen Menschen in Wirklichkeit nicht das Risiko, sondern Verluste (u.a. Daniel Kahneman, Amos Tversky "Judgement under Uncertainty", Cambridge University Press 1982). Den entsprechenden Forschungsergebnissen nach ist der Mensch nämlich nur so lange risikoscheu wie er einen Besitzstand zu bewahren hat und er sich sicher fühlt. Wenn sich der Mensch hingegen in einer Verlustsituation befindet und nun hofft, den drohenden Verlust durch einen hohen und riskanten Einsatz doch noch abwenden oder ungeschehen machen zu können, ist er plötzlich äußerst risikobereit. Als typisches Beispiel seien hier die Flüchtlinge aus Entwicklungsländern genannt, die aufgrund ihrer Situation enorme Risiken in Kauf nehmen, um z.B. aus ihrem Heimatland nach Europa zu fliehen. 


Risikobereitschaft ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Abwendung möglicher Verluste. Schließlich hat man etwas zu verlieren. Das bezieht sich nicht nur materielle Besitzstände, sondern auch auf emotionale: Sicherheit, Vertrautheit, Erfahrung, Routine, das gute Gefühl, alles selbst im Griff zu haben etc. Dadurch wird Veränderung schnell als Bedrohung oder von vorne herein als Unsinnig empfunden.

 

Für das Personality Coaching ist es daher wichtig, das eigene Risikoverhalten zu kennen und zu beherrschen. Jeder Mensch reagiert auf drohende Verluste nach seinem ganz persönlichen Muster und mit unterschiedlichen Ausprägungen. Es wäre ebenso ein Fehler, blindlings Risiken einzugehen wie keine Risiken einzugehen. Letzteres würde zu Stillstand, ja sogar zu einer regelrechten Lähmung führen.

 

Alternativ würden Entscheidungen und Veränderungsprozesse nur zögerlich und halbherzig erfolgen und damit bereits im Keim ersticken. Auch, weil nicht die nötige Kraft entsteht, die entsprechenden Veränderungsmaßnahmen erfolgreich umzusetzen. Manchmal muss man sich in eine mögliche Verlustsituation begeben, damit die nötige Risikobereitschaft entsteht und der Wille, wirklich neue Wege zu gehen.

 

Auch muss man sich bewusst machen, was überhaupt ein Risiko ist. Was konkret als Risiko definiert und als solches empfunden wird, ist von Kultur zu Kultur sowie von Gesellschaftsschicht zu Gesellschaftsschicht und von Alter zu Alter unterschiedlich. Jugendliche leben z.B. risikoreicher als erwachsene Menschen. Grund dafür ist der schneller erfolgende Umbau der Nervenzellen im Gehirn, wobei die für die Belohnung zuständigen Hirnareale schneller heranwachsen als jene, die für Kontrolle verantwortlich sind. An Stelle des vernunftsoriententen Großhirns übernimmt das in Relation besser entwickelte limbische System die Führung, was zur Folge hat, dass Jugendliche daher weniger "vernünftig" sind, weniger über die Konsequenzen ihres Handelns nachdenken und immer wieder nach neuen „Kicks“ bzw. Risiken  suchen.

 

Erziehung und gesellschaftlicher Umgang spielen natürlich auch eine Rolle. Dabei fällt auf, dass man von Mädchen und Frauen eine geringere Risikobereitschaft erwartet als von männlichen Wesen. Allein das hat zur Folge, dass weibliche Personen erziehungs- bzw. sozialisationsbedingt weniger Risiken eingehen. Vom Grundsatz her würden sich beide Geschlechter in dieser Hinsicht sonst in Wirklichkeit gar nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Eine Ausnahme besteht im Straßenverkehr. Hier verhalten sich Frauen - statistisch betrachtet - vorsichtiger, während Männer größere Risiken mit folgenschweren Verkehrsunfällen eingehen.

 

Risikobereitschaft ist auch kulturabhängig. US-Amerikaner sind im Vergleich zu anderen Nationen wesentlich risikobereiter, womit auch die politische und wirtschaftliche Vorherrschaft erklärt wird. Wir Europäer können das oft nicht verstehen, insbesondere wir Deutsche. Viele ärgern sich sogar über diese höhere Risikobereitschaft und vergleichen sie mit Arroganz oder Naivität. In Wirklichkeit ist dies eine Sache der Sozialisation bzw. des Sozialisationsprozesses. Die Vorfahren der US-Amerikaner waren zum größten Teil Auswanderer, die große Herausforderungen und enorme Risiken in Kauf genommen haben, um ihrer vorausgegangenen Situation in Europa (Armut, Knechtschaft, Verfolgung etc.) zu entgehen während die anderen Europäer sich in ihrem Heimatland weiter ihrem Schicksal ergaben.

 

Insofern haben die Amerikaner gelernt, dass jedes Risiko eine enorme Chance birgt.

Dieses Denken bezieht sich auch auf die Offenheit für neue Techniken und Produkte. Der Deutsche musste hingegen lernen, dass gesellschaftlich eingegangene Risiken zumeist mit einem totalen Fiasko endeten z.B. der vollständigen Zerstörung und Zerschlagung der Nation im zweiten Weltkrieg. Daher ist der Deutsche weniger risikobereit und extrem kritisch in seinen Ansichten. Was wissenschaftlich nicht hundertprozentig bewiesen und erprobt ist, dem steht man eher skeptisch und sogar ängstlich gegenüber. Dafür liebt der Deutsche die Vorsorge, die Fürsorge und die Versicherung. Das hat zur Folge, dass die Deutschen Weltmeister im rein juristischen Einklagen von Rechten und im Abschließen von Versicherungen sind. 

 

Was kann man tun, um die Risikobereitschaft zu erhöhen? 


Man kann die Rahmenbedingungen so gestalten, dass man in einer potenziellen Verlustposition ist und dann nur noch dann gewinnen kann, wenn man etwas riskiert. Darüber hinaus müssen Erfolgsmaßstäbe gesetzt und die Konsequenzen des Unterlassens vor Augen geführt und mit konsequenter Entschlossenheit eingehalten und umgesetzt werden.
 

In der Kriegsführung haben erfolgreiche aber leider auch auch "böse" Feldherren bewusst die Sicherheit ihrer Armee aufgegeben und Rückzugs-Möglichkeiten zerstört, was für die Truppe nur eine Option übrig ließ: "Siegen oder Sterben" bzw. "Alles oder Nichts". Zudem wurde Deserteuren und ängstlichen Soldaten, die als "Feiglinge" bezeichnet wurden, öffentlich der Garaus gemacht. Friedrich der Große sagte einst: "Die Kerls müssen mehr Respekt vor den Unteroffiziers haben als vor dem Feind", was bedeutete: Wer nach hinten ausweichen oder gar fliehen wollte, war der Tod durch die eigenen Unteroffiziere gewiss. Der Feind war das geringere Übel und ermöglichte insofern die Flucht nach vorne in den Kampf.


Dies führte insgesamt dann dazu, dass die Soldaten Höchstleistungen vollbrachten

und selbst kleinere Truppen lange Zeit gegen weitaus mächtigere Gegner aushielten (z.B. Schlacht an den Thermopylen) und oft sogar siegten, obgleich dies statistisch und logisch eigentlich unmöglich gewesen wäre. Solange sich Menschen jedoch in sicheren Stellungen und in komfortablen Situationen befinden und einen insgesamt positiv erscheinenden Status Quo bzw. ihren vorhandenen und nicht geringen Besitzstand verteidigen, besteht die Gefahr, dass positive Veränderungen nicht wirklich stattfinden und scheitern. Stattdessen kehrt man zu seinen vertrauten altbekannten Routinen oder ist von Anfang an risikoscheu und lehnt jede Veränderung ab.

Überzogene Risikobereitschaft als Bestandteil einer Persönlichkeitsstörung

Überzogene Risikobereitschaft kann aber auch ein Indiz für eine Persönlichkeitsstörung sein. Hier unterscheidet man die Bereitschaft, generelle (übliche oder besondere) Risiken einzugehen vom Drang, bestimmte erhebliche und gefährliche Risiken geradewegs zu suchen z.B. zum Zwecke des "Kicks". Das Thema Risiken ist daher eine Art "Drahtseilakt".


Was zählt, sind die wahren (nicht die vorgeschobenen) Motive (Beweggründe), aus denen heraus Risiken individuell und kollektivistisch wahrgenommen werden. Insofern unterscheidet sich eine riskante Existenzgründung immer noch deutlich von der Suche nach noch höheren Risiken z.B. aus dem Motiv der Langeweile, des Überdrusses oder aus einer überwertigen oder sogar wahnhaften Idee heraus.


Tatsächlich kann die Tendenz beobachtet werden, dass immer mehr Menschen von sich aus bestrebt sind, Risiken geradewegs zu suchen. Hier treffen wir dann auf das Thema Persönlichkeitsstörung, schließlich kann eine überhöhte Risikobereitschaft zu schweren Schäden für die betroffene Person und ihr Umfeld (z.B. eine Gruppe) führen. Überzogene Risikobereitschaft steht in einem Zusammenhang mit narzisstischen und anderen bestimmten Persönlichkeitsstörungen, die seit einiger Zeit rapide zunehmen. Lesen Sie weiter.