Hintergrundwissen "Beobachtungsgabe"

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Im Gegensatz zur sogenannten "Menschenkenntnis", die auf unmittelbaren, kurz und einseitig beobachteten Aussehens- und Verhaltens-Deutungen auf Basis bereits vorgefasster subjektiver Theorien und Menschenbild-Annahmen beruht, bezieht sich Beobachtungsgabe auf einen grundlegenden Bestandteil der Psychologie: Die Verhaltensbeobachtung - nur eben mit dem Unterschied, dass hier das Wort "Gabe" stört.

 

Verhaltensbeobachtung ist nämlich keine Gabe, sondern eine erlernbare Technik. Das, was als "Gabe" bezeichnet wird, betrifft maximal a) die innere Bereitschaft, sich überhaupt auf ein sachlich-nüchternes technisches System und eine unvoreingenommene analytische Auswertung eingeholter Informationen einlassen zu können sowie b) die Fähigkeit, seinen Intellekt, seine Menschenkenntnis, sein Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl inklusive einer möglichen Selbstüberschätzung weitestgehend zu unterdrücken, was sicher nicht ganz einfach ist.

Wenn Sie also irgendwo einen Aufreißer lesen, der in etwa lautet wie "Entwickeln Sie eine Intuition wie Sherlock Holmes!", dann sollte man das mit Vorsicht genießen und so etwas eher mit Argwohn oder Schmunzeln betrachten. Denn anders, als man es vielerorts nachlesen kann, basiert professionelle Verhaltensbeobachtung eben nicht auf Intuition. Vielmehr ist es ganz entscheidend, diese weitestgehend auszuschließen.


Dennoch verfügt der Mensch über eine besondere intuitive Gabe: Die Fähigkeit zur intuitiven Gesichtserkennung - und liegt hinsichtlich der Einschätzung dabei sogar zumeist richtig. Bei der Gesichtserkennung geht es jedoch um die Wahrnehmung und Interpretation spontaner Eindrücke. Sie basiert auf Intuition.


Intuition ist sinnvoll für schnelle und ökonomische Einschätzungen, nicht aber für Einschätzungen mit hoher Präzision. Bei der intuitiven Einschätzung holen wir uns - sehr energiesparend - nur jene Informationen ins Bewusstsein, die gerade wichtig sein könnten und passen. Dabei „trickst“ unser Gehirn ein wenig. Wir holen nur Bruchstückchen zurück ins Bewusstsein und "basteln" uns den Rest zusammen.


Mit Verhaltensbeobachtung hat das wenig gemein. Hier geht es um schnelle Reaktion. Einschätzungen und Entscheidungen, die allein auf Intuition bzw. bruchstückhaften Fakten beruhen, die wir dann vervollständigen, können im Ernstfall zwar Leben retten oder helfen, Ärger zu vermeiden, für wichtige und gerechte Entscheidungen mit langfristiger Prognose-Sicherheit reicht jedoch nicht aus, was unsere rechte Hirnhälfte da intuitiv produziert. Sie enthält sich sämtlicher Rationalität und Differenzierung. Sie reagiert ganzheitlich, unbewusst und gefühlsbezogen.


Zum Zwecke einer nachhaltigen Einschätzung müssen wir unsere linke Gehirnhälfte bermühen, die unser Bewusstsein verwaltet und für konzentriertes analytisches Denken verantwortlich ist. Genau hier erfolgt professionelle Verhaltensbeobachtung. Zugleich ist das der Grund, warum man weniger von einer "Gabe" sprechen kann. Vielmehr handelt es sich um eine erlernbare systemische Technik, die Disziplin und Selbstdisziplin erfordert, darüber hinaus der Fähigkeit bedarf, all das, was mit Intuition, Menschenkenntnis und "kluger" Kombinationsgabe zu tun hat, außen vor zu lassen und möglichst bereits im Vorfeld über Bord zu werfen.  

 

Schneller Verstand und das eigene Vertrauen (Selbstvertrauen) auf die eigene "scharfe Beobachtungsgabe", die Sherlock Holmes angeblich nutzte, um die größten Geheimnisse zu lösen, sind in Wirklichkeit hinderlich und können in die Irre führen, ganz besonders dann, wenn die Indizien und "Spuren" denen wir "intelligent" folgen, "falsche Spuren", "täuschende Spuren" oder bewusst gelegte vorgetäusche Spuren" sind. Derartiges gibt es nicht etwa nur in der Kriminalistik, sondern in vielen Alltagssituationen, ganz besonders aber in Werbe- und Bewerbungs-Situationen bzw. im Marketing und Selbstmarketing.

Dann landen wir nämlich ganz schnell mit ihrem scharfen Verstand auf einer falschen Fährte, nicht selten genau dort, wo andere einen hinlocken wollen. Nicht immer haben wir es mit naiven und "dummen" Menschen zu tun. Nicht immer sind wir die klugen und erst recht nicht die, die stets den vollen Durchblick haben. Wer so denkt, lässt sich nicht nur viel schneller manipulieren und täuschen - er täuscht sich sogar selbst - und das viel stärker und häufiger, als jene, die in der Lage sind bzw. lernen, "ihren Kopf auszuschalten". 

 

Selbst jene, die wir für angeblich naiv und dumm halten, verhalten sich oft so, dass sich Beobachter, Beurteiler und Entscheider hinsichtlich ihrer Beobachtung, Einschätzung, Beurteilung und Entscheidung selbst ziemlich naiv verhalten und schließlich selbst "dumm dastehen".

 

Um eine gute Beobachtungsgabe zu bekommen, werden erschreckenderweise Dinge geraten wie: Seine Intuition zu akzeptieren, von einer Person unmittelbar Eigenschaften abzuleiten und mit Logik an die Sache heranzugehen. In Wirklichkeit darf man jedoch weder seiner Intuition vertrauen, noch von einer Person unmittelbar Eigenschaften ableiten, noch mit Logik an die Sache herangehen, zumindest nicht mit dem, was wir selbst als logisch empfinden, weil es unserer eigenen Logik entspricht.

 

Genau diese menschliche Logik bzw. Schein-Logik kennt und nutzt man bereits im klassischen Marketing sowie im modernen Neuromarketing / Consumer-Neuroscience. Selbst ohne Marketing-Kenntnisse kann uns jede Privatperson mit einer hohen Sozialen Intelligenz bzw. mit sozial kompetentem Verhalten beeinflussen, manipulieren und täuschen. Eigentlich ist es nicht die besagte sozial intelligente Person selbst, die uns durch sozialkompetentes Verhalten täuscht: Wir sind es selbst, weil wir das wollen und als Mensch so funktionieren. 

 

Professionelle Verhaltensbeobachtung basiert zuerst einmal auf der strikten Trennung von systematischer Verhaltensbeobachtung, präziser Verhaltensbeschreibung und dem späteren Versuch, das beobachtete Verhalten zu erklären.

 

So finden wir z.B. einen Menschen sympathisch, weil er freundlich und nett ist bzw. sich so verhält. Einer von unzähligen Fehlern liegt im Ansatz bereits darin, dass "freundlich verhalten" oder "nett" überhaupt kein Verhalten sind. Vielmehr handelt es sich hierbei bereits schon um die vorschnelle und voreingenommene Interpretation bestimmter verbal geäußerter und paraverbal verzerrter Worte oder Sätze, bestimmter Gesten oder eines bestimmten Gesichtsausdrucks in einer ganz bestimmten kurzen und einseitigen Situation, über die der Beobachtete darüber hinaus natürlich die volle Kontrolle behalten konnte. 


Kenntnisse über die vielen möglichen Beobachtungsfehler sind ebenso wichtig wie die Bemühung, diese zu vermeiden. Technische Fehler in der Beobachtung (fehlerhafte Beobachtungstechniken) führen bereits im Vorfeld ebenso zu Fehlbeobachtungen und Fehleinschätzungen wie Emotionen und Intuition bei der Beobachtung. Auch ist es wichtig, wirklich beobachtbares Verhalten von nicht beobachtbarem Verhalten und von dem, was zum Erleben gehört, zu unterscheiden. 

 

Neben Wissen über unser Denken und mögliche Denkfehler ist das richtige Verständnis von Wahrnehmung und Wahrnehmungsprozessen wichtig, ebenso Kenntnisse über die vielzähligen unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler, denen wir als Menschen unterliegen.

 

Allein das kann im Zusammenspiel mit einer bewusst geplanten, sachlich-nüchtern angewandten Beobachtungs- und Messtechnik dazu führen, dass wir plötzlich klarer sehen. Dann sehen wir plötzlich etwas ganz anderes, als unsere Intuition uns gesagt hat. Dann sehen wir plötzlich einen völlig anderen Menschen, als den, den wir mit Hilfe unserer Menschenkenntnis eingeschätzt haben. Manchmal sehen wir, dass wir direkt zu Beginn in einigen Punkten richtig lagen, aber nicht in allen. Manchmal sind wir aber sogar sehr schockiert darüber, wie sehr uns unsere Intuition und Menschenkenntnis getäuscht hat - und das nicht nur, wenn unser Verstand oder unsere Intuition wieder einmal den Künsten eines Magiers erlegen ist oder wir einem Trickbetrüger zum Opfer gefallen sind.

 

Doch selbst dann wirkt unsere Selbsttäuschung nach, allein mit Hilfe unseres eigenen Gehirns, das bestrebt ist, als unangenehm empfundene nicht erklärbare Ereignisse (z.B. Illusionen, Kontrollillusionen) und dadurch entstehende kognitive Dissonanzen mit Hilfe der eigenen kreativen Vorstellungskraft (=Phantasie) zu erklären bzw. umzudeuten (siehe Wirkungsprinzip der kognitiven Dissonanz-Reduktion).

 

Beobachtet und gemessen wird Verhalten in unterschiedlichen Situationen und möglichst unter unterschiedlichen Umständen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus. Entscheidend ist es auch, richtig hinzusehen und dann erneut nachzusehen, richtig hinzuhören, zuzuhören und dann erneut zuzuhören usw. Es geht nicht etwa darum, spontan, schnell und logisch irgendwelche "Signale der Persönlichkeit" zu entschlüsseln, sondern darum, unter Ausschluss o.g. Fehlerquellen, sachlich-nüchtern Daten und Informationen zu sammeln, zu messen, nachzumessen und zu vergleichen.

 

Bur wenn das, was die Intuition und angebliche Menschenkenntnis vermuten lässt, überprüfbar ist und sich die Ergebnisse auf unterschiedliche Situationen gleich anwenden lassen, kann man echte Rückschlüsse auf Menschen ziehen und ihr Verhalten relativ sicher vorhersagen.

 

Entscheidend ist auch, ob man bewusstes Verhalten oder unbewusstes Verhalten misst. Aus den unterschiedlichsten Motiven von Menschen heraus, entspricht nämlich Verhalten, das bewusst zur Schau gestellt bzw. an den Tag gelegt wird, logischerweise nicht zwingend dem Denken der betreffenden Person, weder ihrer wahren Persönlichkeit noch ihren wirklichen Einstellungen.