Hintergrundwissen "Narzisstische Persönlichkeitsstörung"

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Einführung Narzissmus und Missverständnis

Mit dem Begriff „Narzissmus“ bzw. „narzisstisch“ verbindet man im Allgemeinen die Vorstellung von egozentrischen, stolzen, sich selbst überschätzenden Menschen mit einer hohen Anspruchshaltung, wobei der Begriff selbst auf einen griechischen Mythos zurückgeht. Das Innenleben narzisstischer Persönlichkeiten stellt jedoch das genaue Gegenteil dar: Innere Leere, nicht erhaltene Anerkennung in der Kindheit, Groll gegen andere, die ihm nicht genügend Aufmerksamkeit schenkten und schenken sowie Groll gegen sich selbst. Daher sind narzisstische Persönlichkeiten stets bestrebt, sich selbst zu beweisen und ins richtige Licht zu setzen.

Narzissmus steht für einen starken Hang zur Selbstbespiegelung und eine damit verbundene Beziehungsproblematik (Beziehung zu sich selbst und zu anderen Menschen). Was mit Arroganz assoziert wird, stellt für die Betroffenen in Wirklichkeit ein starkes Leiden dar, das ggf. mit
depressiven Symptomen einhergeht. Dazu können Symptome zählen wie das Gefühl der inneren Leere, Niedergeschlagenheit, unspezifische Ängste, Störungen im menschlichen Beziehungsleben, das Problem, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu leben, Größenphantasien bei gleichzeitiger Selbstunsicherheit, Störung des Selbstwertgefühls, Angreifbarkeit und Kränkbarkeit und natürlich auch körperliche Symptome.

 

Es gibt aber auch narzisstische Persönlichkeiten, die diese eventuellen Symptome gut zu verdrängen wissen, da sie sich genügend Ablenkung verschaffen z.B. dadurch, dass sie ihren Fokus massiv nach außen richten (z.B. massive externale Fokussierung).

Narzissmus als Persönlichkeitsstörung

Bei der narzisstische Persönlichkeitsstörung (ICD10-Code: F60.8) liegt eine Störung des Selbstwertgefühls und des Selbstgefühls vor. Ist das Selbstgefühl nur schwach ausgebildet, hat man keinen Zugang zu den eigenen Gefühlen, Wünschen und Bedürfnissen. Folglich kann man sich selbst nicht richtig bzw. nicht gut genug wahrnehmen und ausleben. Dies wird durch ein Wunschbild überspielt, das übertrieben nach außen gezeigt wird.  


Das mangelnde Selbstgefühl und die Selbstentfremdung sorgen dafür, dass der "selbstverliebt" erscheinende narzisstisch gestörte Mensch sich selbst in Wirklichkeit nicht lieben kann - damit ebenso wenig sein unmittelbares Umfeld.
Weil das eigene Selbst defekt ist und hinter einer Fassade bleibt, ist bei narzisstisch gestörten Menschen das Selbstwertgefühl schwach und labil. Der narzisstische Mensch ist bestrebt, dies auszugleichen, in dem er geradewegs zwanghaft nach Anerkennung sucht.

 

Während er sein eigenes Selbst innerlich abgelehnt, gibt sich der Narzisst nach außen selbstverliebt, strebt laufend nach Aufmerksamkeit, Anerkennung und Bewunderung. Das liegt daran, dass Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung stetig unbewusst bemüht sind, Grundstörungen im Selbst durch Erhaschen von Idealisierung und Größenideen oder durch Überanpassung und Entwertung zu kompensieren.

Folglich ist ein narzisstisch gestörter Mensch in hohem Maße auf die Anerkennung und Bewunderung seiner Umwelt angewiesen und baut zum Ausgleich seiner eigentlichen Unsicherheit und seines Minderwertigkeitsgefühls ein großes Selbst auf, das jedoch wenig der Realität entspricht und auf andere leicht bis schwer überzogen und anstrengend wirkt. Ziel ist, als Antrieb und Ausgleich stetige Zuwendung und Bewunderung anderer zu erhaschen.

Besondere Formen und Unterarten

Wie bereits erwähnt, ist ein narzisstischer Mensch in hohem Maße auf die Anerkennung und Bewunderung seiner Umwelt angewiesen. Sofern er das Gefühl hat, dass er diese Anerkennung in seinem unmittelbaren Umfeld nicht bekommt und/oder er sein Umfeld innerlich ablehnt, kann es sein, dass sich sein Fokus nach außen bzw. außerhalb seines eigenen Umfelds richtet. Eine derartige massive externale Fokussierung nach außen hilft, das eigene Problem noch mehr zu verdrängen, sich woanders Anerkennung zu verschaffen und sich dadurch besser zu fühlen.

 

Eine besondere Form der narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die zumeist mit einer derartigen massiven externalen Fokussierung einhergeht, ist die naiv-aggressive Persönlichkeitsstörung. Bei dieser Störung besteht ein übertriebener Hang, bestimmte Probleme lösen oder die "Welt verbessern" zu wollen. In dem sich naiv-aggressive Persönlichkeiten selbst als Weltverbesserer oder Missionare begreifen oder viel mehr darstellen, haben sie eine optimale Möglichkeit, sich selbst in den Vordergrund zu stellen, sich gut zu fühlen und das vermeintliche Lob anderer zu erhaschen. In Wirklichkeit dient die vermeintlich "gute" Hilfe jedoch lediglich dem eigenen Selbstwertgefühl, das stetig neu befriedigt werden möchte, oftmals ohne jegliches Gefühl für Verhältnismäßigkeit. Dabei besteht der Hang, die Lebensweise anderer Menschen zu dominieren, insbesondere jener Menschen, die der naiv-aggressiven Persönlichkeit nicht die nötige Anerkennung zollen.

 

Eine weitere gefährliche Unterart des Narzissmus ist der Masochismus bzw. die masochistische (selbstzerstörerische) Persönlichkeitsstörung. Darunter fallen nicht etwa nur jene Menschen, die aus körperlichen Gründen irgendwann vielleicht einmal einen Arzt aufsuchen "müssen", weil sie sich "ritzen" bzw. sie sich selbst verletzen, sondern die enorm hohe Dunkelziffer jener Persönlichkeiten, die in sämtlichen - auch alltäglichen - Lebensbereichen auf Herbeiführung von Schäden für Menschen, Hab und Gut abzielen, weil sie auf Selbstzerstörung programmiert sind und diesbezüglich intuitiven Entscheidungsprozessen folgen, die sie selbst noch nicht einmal bewusst wahrnehmen.

 

Diese Menschen ziehen nicht etwa das Negative bzw. einen Schaden an, weil der "Zufall" es so will, sondern weil sie derartiges innerlich anstreben bzw. ersehnen - und darin gar den "Kick" oder "Thrill" sowie im Endergebnis den "Triumph" sehen.

Wurzeln narzisstischer Persönlichkeiten

Die Wurzeln narzisstischer Persönlichkeiten bzw. narzisstischer Störungen liegen zumeist in der frühen Kindheit und in der Familie. Obgleich auch Erbanlagen eine Rolle spielen können, sind schwerpunktmäßig wiederholte seelische Verletzungen ursächlich. So kann z.B. das Bedürfnis nach liebevoller Zuwendung, Geborgenheit und Akzeptanz besonders in der frühen Kindheit verletzt worden sein und auch später narzisstische Persönlichkeitsstörung entstehen lassen. Ebenso kennt man narzisstische Störungen, die über ein besonderes Ereignis (z.B. ein Psychotrauma) ausgelöst werden.

 

Moderne gesellschaftliche Einflüsse verstärken und fördern narzisstische Züge in ihrer Entwicklung ebenso wie die Einflüsse von Verkauf, Werbung und Marketing dies tun, wenn sie Menschen loben und hofieren. Verkauf, Werbung und Marketing nutzen den gesellschaftlich wachsenden Narzissmus für ihre Zwecke aus und fördern sogar narzisstische Züge. Narzisstischen Persönlichen gegenüber haben sie leichtes Spiel, weil sich diese verstärkt nach Lob und Anerkennung sehnen und gerne hofiert werden möchten. Leider verstärkt dies widerum das falsche Selbstbild narzisstischer Persönlichkeiten, so dass ein regelrechter Kreislauf entsteht. Dieser macht eine narzisstische Persönlichkeit zu einem gern gesehenen Stammkunden.

Narzissten im Berufsleben

Narzisstische Persönlichkeiten streben gerne und vorrangig in Führungspositionen.

Ebenso sind narzisstische Persönlichkeiten besonders engagierte Politiker, wobei die Gefahr besteht, dass sie Risiken nicht wirklich einschätzen können und viel zu hohe Risiken eingehen. Narzisstische Persönlichkeiten finden sich auch unter Künstlern und überhaupt unter Menschen, die gerne im Rampenlicht und in der Öffentlichkeit stehen.

Narzissten in Führungspositionen

Die Möglichkeit, politische oder ökonomische Macht auszuüben, nährt Größen- und Allmachtsphantasien. Daher streben viele Narzissten in Bezug auf ihre Karriereziele mitten hinein ins Zentrum der Macht. Es geht ihnen darum, walten und schalten zu können, Gefühle von Anerkennung und Triumph zu erhaschen und Macht auszuüben.

 

Gesellschaftliche Macht übt eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf narzisstische Persönlichkeiten aus. Was zeichnet Narzissten in dieser Hinsicht aus?
Karriere-Besessenheit, Selbstbezogenheit und Sieger-Mentalität bis hin zu Größenphantasien sind jene Eigenschaften, die der narzisstisch gestörten Persönlichkeit den Weg an die Schaltstellen ökonomischer oder politischer Macht ebnen.

 

Indem sich die narzisstisch gestörte Führungspersönlichkeit vorzugsweise mit Ja-Sagern, Bewunderern und gewitzten Manipulatoren umgibt, verschafft sie sich eine Bestätigung ihres Selbstbildes. Zugleich  untergräbt sie sich aber ihre eigene Selbstwahrnehmung und verfestigt ihr illusionäres und von Feindbildern geprägtes subjektives Weltbild bis hin zum Verlust der Realität. Dies kann letztendlich dazu führen, dass die narzisstisch geprägte Führungspersönlichkeit genau von jenen Normen, Werten und Idealen abfällt, denen sie eigentlich verpflichtet ist.

 

Die Gefahren narzisstischer Persönlichkeitsstörungen für andere Menschen werden ebenso häufig unterschätzt wie die extreme Zunahme und Ausbreitung dieser Störung.

Zunahme narzisstischer Störungen

Narzisstische Persönlichkeitsstörungen nehmen drastisch zu. Wissenschaftler sind ratlos. Es gibt die unterschiedlichsten Erklärungsversuche. Der einfachste und am besten erforschte Ansatz ist der psychologische und soziokulturelle Ansatz. Darüber hinaus sind auch biologische Ansätze nicht auszuschließen. (Detail-Infos)

Weitere Infos

Über Narzissmus und Gesellschaft
3Sat/YouTube

 

Narzissmus und Macht 
Buchbesprechung von Michael Schmid
Lebenshaus Schwäbische Alb e.V., Nr. 36 vom März 2003
Lebenshaus-alb.de

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