Hintergrundwissen "Implizite Persönlichkeitstheorien"

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Einführung
Implizite Persönlichkeitstheorien nutzt im Prinzip jeder Mensch, um andere Menschen zu beurteilen und entsprechende Einschätzungen und Entscheidungen zu treffen. Auch Personalentscheider bedienen sich derartiger Theorien, manchmal bewusst, zumeist aber unbewusst. Was für die schnelle Freund-Feind-Erkennung in der Steinzeit vielleicht noch recht praktisch und hilfreich war, stellt im Hinblick auf komplexe Entscheidungen in der Neuzeit allerdings ein gravierendes Problem dar.
 

Hintergrund
Die Einschätzung und Beurteilung anderer Menschen erfolgt entweder bewusst
(z.B. durch konkrete Beobachtung) oder unbewusst (bei der reinen Begegnung
und beim Umgang mit
anderen Menschen). Die Einschätzung und Beurteilung anderer Menschen erfolgt in der Regel nicht auf Basis objektiv messbarer Tatsachen, sondern auf völlig subjektiven Eindrücken und unbewussten Denk- und Entscheidungsprozessen.


Wie man mittlerweile weiß, basieren Entscheidungen auf Vorgängen in unserem Motiv- und Emotionssystem im Gehirn (Lymbisches System). Bereits bei der Wahrnehmung, der Aufnahme und Verarbeitung von Sinneseindrücken (Reizen) unterliegen wir Täuschungen in Form sogenannter Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler.


Zusätzlich erfolgen unzählige Fehler in der Verhaltensbeobachtung und bei der Entschlüsselung gewonnener Informationen (Encodierungsfehler). Bei der Einschätzung und Beurteilung anderer, greifen Menschen auf implizite Persönlichkeitstheorien zurück, die sie selbst im Laufe ihres Lebens
für sich entwickelt haben.  

Begrifflichkeiten
Der Begriff selbst setzt sich aus den Begriffen "Persönlichkeit" und dem Begriff "Theorie" zusammen. Eine "
Theorie" entwirft ein etwaiges Bild (Modell, Annahme)
der Realität bzw. einen möglich erscheinenden Ausschnitt der Realität
und trifft auf dieser Annahme entsprechende Vorhersagen. 


Der Begriff "Persönlichkeit" bezieht sich auf die charakterliche Individualität des Menschen und seiner zahlreichen Persönlichkeitseigenschaften sowie deren Unterscheidung von anderen. Der Begriff "implizit" steht für "eigen", "anhängend", "festklebend", "anhaftend" und "innewohnend".


Eine implizite Persönlichkeitstheorie ist somit eine individuelle, persönlichkeitseigene (und damit subjektive) Menschenbild-Annahme von Menschen, die jedem Menschen innewohnt bzw. anhaftet. Es handelt sich folglich nicht um Theorien, die wissenschaftlichen Charakter haben. Ebensowenig basieren sie auf messbaren Fakten. Fakten werden lediglich angenommen bzw. unterstellt. Deartige Unterstellungen basieren auf der Annahme vorhandener Menschenkenntnis. Dass die Annahme und Nutzung derartiger Menschenkenntnis viele Wahrnehmungsfehler impliziert, ist den meisten Menschen unbekannt.


Entstehung und Nutzen
Im Laufe seines Lebens entwickelt jeder Mensch für sich selbst eine eigene,
individuell spezifische Persönlichkeitstheorie, die stereotype Urteile bildet. 
Stereotype haben eine entlastende Funktion im täglichen Miteinander (Sozialverhalten). Sie dienen als Orientierungshilfe und schaffen einen Bezugsrahmen für das Verhalten gegenüber anderen Menschen, insbesondere gegenüber fremden Personen. Implizite Persönlichkeitstheorien dienen der schnellen und unkomplizierten individuellen Orientierung.

Aufgrund unserer impliziten Persönlichkeitstheorien hat der "Erste Eindruck" von einem anderen Menschen eine starke Entlastungsfunktion. Er reduziert die soziale Spannung, die bei der Begegnung mit fremden Menschen entsteht und schafft eine schnelle unkomplizierte Einschätzung allein dadurch, dass wir uns an beobachtbaren Merkmalen wie z.B. Geschlecht, Alter, Hautfarbe, Herkunft, regionale Herkunft, Wohnort, Anschrift, Erscheinungsbild, Kleidung, Stil, Accessoires, Sauberkeit, Sprache, Sprechweise, Körpersprache, Umgangsformen, Ausbildung, Arbeitgeber, Sternzeichen usw. orientieren können, um daraus Rückschlüsse auf Eigenschaften zu ziehen, die uns verborgen bleiben, weil sie selbst nicht beobachtbar sind (z.B. Intelligenz, Kompetenz, Ehrlichkeit, Intelligenz, Gemüt, Stimmung, Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit usw).

 

Nachteil und Gefahr
Beobachtbare Merkmale gelten als Signale der Persönlichkeit. Implizite Persönlichkeitstheorien selbst basieren auf Erfahrungen sowie den daraus resultierenden Erwartungen. Die Erfahrung im Umgang mit eigenen impliziten Persönlichkeitstheorien bezeichnen Menschen als sogenannte Menschenkenntnis
und setzen dies mit einer Kompetenz gleich.


In Wirklichkeit handelt es sich bei der naiven Annahme sogenannter Menschenkenntnis jedoch lediglich um das Wissen um die etwaige Bestätigung individueller subjektiver Theorien und es werden bereits von vorne herein Wahrnehmungsfehler, Erwartungsfehler und Beurteilungsfehler impliziert.

 

Über die Reflexion gelernter und abgeglichener beobachteter Kriterien wird die Fremdwahrnehmung - aber auch die Selbstwahrnehmung stark beeinflusst.

So gibt es z.B. viele Menschen, die von der Richtigkeit ihrer Einschätzung bzw.
ihrer guten Menschenkenntnis so überzeugt sind, dass sie irgendwann sogar genau das Gegenteil von dem einschätzen, als in Wahrheit bzw. messbar vorhanden ist.

Insbesondere Menschen, die beruflich stark und regelmäßig in Prozesse der Urteilsbildung involviert sind (z.B. Personalentscheider, Führungskräfte) unterliegen diesem Phänomen, das letztendlich auf nichts anderem basiert als auf falsch gelernter Wahrnehmung, die aufgrund (hohem/r bzw. überhöhtem/r) Status, Rolle, Hierarchie, Selbstwertgefühl, Selbstüberzeugung, Selbstsicherheit falsch gelernt wird und sich dann im Laufe des Lebens unumkehrbar festigt.

 

Zusätzlich besteht die Gefahr von Vorurteilen, falschen Entscheidungen
(z.B. Personalentscheidung) sowie von 
Diskriminierung anderer Menschen und Schäden aufgrund Fehleinschätzung oder Selbsterfüllender Prophezeiung.